Last Updated on 29. Juni 2021 by Marita
Einer Patchworkfamilie geht immer die Trennung der leiblichen Eltern voraus. Der Prozess, die Trennung seitens der leiblichen Eltern und der Kinder zu verarbeiten, lässt sich auch nicht beschleunigen oder abkürzen. Er ist vielmehr die Grundlage für die spätere Beziehung zur Stiefmutter. In den folgenden Kapiteln gehe ich darauf ein, was die Trennung in den Kindern und auch den leiblichen Eltern auslöst.
Empathie für den anderen aufbringen
„Wie auch immer das Verhalten der Kindsmutter sein mag – es gibt einen guten Grund dafür. Sie tut Dinge nicht, weil sie Dich ärgern will, nicht aus Neid oder Boshaftigkeit.“ So lautet ein Satz in meinem Artikel „Mann mit Kind – ja oder nein?“ Daraufhin hat mich die folgende Rückmeldung erreicht (vielen Dank dafür!)
Liebe Marita, ich finde den Artikel sehr interessant, tue mich mit dem Punkt 5.3 „Verhalten der Kindsmutter“ und vor allem der Aussage „sie tut Dinge nicht, um dich zu ärgern oder aus Boshaftigkeit“ etwas schwer. Wenn mich die KM in Gesprächen mit dem KV über WhatsApp als Schlampe bezeichnet und dieses Wort auch benutzt, wenn sie mit dem KV und den Kindern in einem Gruppengespräch per Telefon über mich spricht, dann mag da ja ein persönliches Bedürfnis hinterliegen, für mich ist das Verhalten in erster Linie aber boshaft und nimmt mir die Lust, überhaupt zu überlegen, was da für ein „vernünftiges“ Bedürfnis hinterstehen könnte, außer kränken zu wollen..?
Zu sehen, welche Gefühle und Bedürfnisse bei den anderen dahinterstecken, fällt oft nicht leicht, gerade wenn die eigenen Verletzungen groß sind. In den folgenden Kapiteln gehe ich darauf ein, was die Trennung in den Kindern und auch den leiblichen Eltern auslöst. Um das Verhalten der anderen Personen zu verstehen und wohlwollend betrachten zu können, ist es für Dich als Stiefmutter wichtig, eine Vorstellung von ihren Gefühlen und Bedürfnissen zu haben. Das ist Empathie und die Basis für echte Beziehungen auf Augenhöhe.
Ein wichtiger Warnhinweis zu Beginn
ACHTUNG: Empathie kannst Du nur von Herzen geben, wenn es Dir selbst gut geht. Der erste Schritt ist daher immer der Blick nach innen. Welche Gefühle sind gerade in Dir lebendig? Was brauchst Du? Wie kannst Du in diesem Moment gut für Dich sorgen? Wenn Deine eigenen Verletzungen, Dein Schmerz oder Deine Traurigkeit gerade groß sind und noch nicht genug Raum hatten, um gesehen zu werden, wirkt es zynisch, sich in den anderen hineninversetzen zu sollen. Schnell kommt da ein solcher Gedanke auf:
“Ja, klar, ich soll mich immer um alle kümmern. Und wer schaut auf mich?”
Es geht nicht darum, die Verantwortung für die Gefühle der anderen zu übernehmen. Du darfst getrost bei Dir selbst bleiben. Du bist für Deine Gefühle verantwortlich und diejenige, die sich um ihre eigene Bedürfniserfüllung kümmern muss. Das ist schon eine große Aufgabe, die wir allzu oft den anderen zuschustern wollen. Für manche Bedürfnisse brauchen wir die Mitwirkung anderer Menschen (wenn auch nicht eines bestimmten). Die Kooperationsbereitschaft des anderen erhöhst Du allerdings nur dadurch, wenn Du es auch schaffst, seine Bedürfnisse zu sehen. Wir Menschen teilen dieselben Bedürfnisse und jenes nach Empathie, also wirklich gesehen zu werden mit unseren Gefühlen, ist elementar.
Du bist diejenige, die es jetzt in der Hand hat. Du liest diesen Artikel und hast deshalb eine Idee davon bekommen, wie es “funktionieren” kann. Gib die Verantwortung nicht ab und warte darauf, was der andere doch bitte tun möge. Sondern sorge Du in erster Linie für Dich. Und wenn Du es dann schaffst, weil Deine eigene Schale gefüllt ist, richte Deinen Blick darauf, was in dem anderen lebendig ist. Was geht in den Kindern nach der Trennung ihrer Eltern vor? Was in den Eltern selbst? Welche Gefühle stecken hinter ihren belastenden Gedanken? Welche Bedürfnisse sind unerfüllt? Wenn Du bereit bist, auf diese Fragen Deinen Blick zu lenken, lies jetzt weiter.
Trennung – Was geht in den Kindern vor?
Der Diplompsychologe Claus Koch beschreibt im Wesentlichen fünf große “Gefühle”, die in Kindern bei einer Trennung und Scheidung der Eltern auftauchen. Grundlage dafür, wie “gut” Kinder mit der Situation zurechtkommen, ist das in den ersten Jahren ihres Lebens angelegte Bindungsmuster. Wenn das Fundament einer sicheren Bindung und (Ur)Vertrauen vorhanden ist, können sie mit den jetzt aufkommenden Gefühle besser umgehen.
- die Angst, verlassen zu werden
- Machtverlust
- Schuldgefühle
- Verlust des Selbstwertgefühls
- Loyalitätskonflikte
Ich gehe hier noch weiter und schaue hinter diese Problembereiche. Welche echten Gefühle stecken dahinter und auf welche Bedürfnisse weisen diese hin? Dann eröffnen sich auch hier Räume, um diese Bedürfnisse auf andere Art und Weise zu erfüllen als über die Lieblingslösung “Meine Eltern sollen wieder zusammen sein, es soll alles so sein wie früher.”
Verlustangst
Durch den Weggang eines Elternteils wurde ein grundlegender Pfeiler der kindlichen Sicherheit erschüttert. Verlustängste und ein Gefühl der Hilflosigkeit sind die Folge. Das hat auch einen Einfluss auf die generelle Glaubwürdigkeit Erwachsener. Worauf kann ich mich als Kind überhaupt noch verlassen? Werde ich eines Tages nicht mehr aus dem Kindergarten abgeholt? Über diese Ängste sprechen Kinder aber selten direkt, vielmehr äußern sie sich über das Verhalten oder körperliche Symptome. Das in den Kindern lebendige Gefühl ist Angst, das Bedürfnis Sicherheit.
Das Bedürfnis nach Sicherheit
Dein Bonuskind will mit im Ehebett schlafen, obwohl es schon groß genug ist? Es kuschelt extrem viel mit seinem Papa? Es hat Schwierigkeiten mit Übergängen. Wenn es von der Mutter kommt, ist es einige Stunden extrem weinerlich oder aggressiv? Hier kommt es auf den wohlwollenden Blick an. Es verhält sich nicht so, weil es Dich ärgern will oder weil es nicht gut erzogen wurde. Diese Verhaltensweisen zeigen, dass das Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt ist.
Strategiebeispiel: Im Ehebett schlafen
Das Kind greift auf die beste Strategie zurück, die ihm in dem Moment zur Verfügung steht, also z.B. mit im großen Bett schlafen. Du möchtest das nicht? Das ist in Ordnung, Dein Bedürfnis ist ein anderes, vielleicht Privatsphäre. Wenn Du es aber schaffst, gleichzeitig das Bedürfnis nach Sicherheit zu sehen – dann könnt ihr gemeinsam Lösungen suchen, die beide Bedürfnisse abdecken. Vielleicht nach dem Einschlafen rübertragen, eine Lampe brennen lassen, eine extra Matratze mit ins Schlafzimmer legen… was auch immer für euch passt.
Machtverlust
„Wenn ihr zusammenbleibt, will ich auch ganz viel für die Schule lernen und immer meine Hausaufgaben machen.“ „Ich will immer mein Zimmer aufräumen und dir ganz viel in der Küche helfen.“ „Ich würde Weihnachten gar keine Geschenke bekommen wollen, wenn ihr wieder zusammenkommt.“ In diesen typischen Aussagen von Kindern zeigt sich die Verzweiflung und der Wunsch, selbst etwas tun zu können. Allerdings ist alles Bemühen vergeblich, denn die Eltern haben sich trotzdem getrennt. Hier sind die Gefühle des Kindes Ohnmacht und Hilflosigkeit, das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit ist nicht erfüllt.
Das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit beschreibt die Erwartung einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können, d.h. das Vertrauen in seine Fähigkeiten und sein Können. Selbstwirksame Menschen glauben in der Lage zu sein, Einfluss zu nehmen und damit Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Dazu gehört auch die Annahme, man könne als Person gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen, statt äußere Umstände, andere Personen, Zufall, Glück und andere unkontrollierbare Faktoren als ursächlich anzusehen. Dein Bonuskind wurde nicht gefragt, ob es die Trennung will. Sie wurde gegen seinen Willen durchgezogen. Es hatte auch keine Wahl, ob es jetzt bei euch sein möchte. Es darf über viele Dinge einfach nicht entscheiden, fühlt sich ohnmächtig und hilflos. Wie kann es sich das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit erfüllen?
Strategiebeispiel: Nein sagen
“Nein!” “Ich will das nicht.” “Kein Bock!” Durch Äußerungen wie diese zeigt das Kind seinen WIllen. Und es bleibt standhaft, denn es ist seine Strategie, um zu beweisen, dass es eben doch etwas bewirken kann. Ihr wollt zum Geburtstag von Tante Erna? Pech gehabt! Ihr wollt, dass ich jetzt zum Essen komme? Das ist meine Entscheidung. Ihr könnt mich nicht zwingen, mir die Schuhe anzuziehen oder meine Jacke aufzuheben. Ich mache, was ich will. Und Du hast mir nichts zu sagen!
Oh, es ist herausfordernd, da nicht wütend zu werden. Haben wir doch jahrelang gehört, dass so ein aufmüpfiges Verhalten ungezogen ist. Lass Dir von den Kind nicht auf der Nase herumtanzen! Wo kommen wir denn da hin! Und die Angst vor den viel zitierten “Tyrannenkindern” taucht auch in unseren Gedanken auf. Und auch hier wieder: Das Kind tut es nicht, um Dich zu ärgern. Es erfüllt sich ein Bedürfnis.
Strategiebeispiel: Blick in die Zukunft
Was steckt hinter Deiner Wut? Vielleicht sogar dasselbe Bedürfnis: Selbstwirksamkeit? Du möchtest, dass Deine Energie und Liebe, die Du in Dein Bonuskind investierst, eine Auswirkung haben. Wenn Du bei Deinem Bedürfnis hinter dem Ärger angekommen bist, spürst Du ein gewandeltes Gefühl. Das könnte Verzweiflung oder Erschöpfung sein. Es ist so hart! Du gibst so viel, gibst Dir solche Mühe, und was passiert?
Ja, und jetzt bist Du bei Dir! Du musst nicht mehr auf das Kind schimpfen, sondern Du kannst auf Dich selbst schauen. Was brauchst Du, damit es Dir gut geht? Eine Pause, Zeit für Dich? Oder vielleicht einfach den Satz, der mir damals vor vielen Jahren geholfen hat. “Ob Erziehung etwas bringt, merkt man doch immer erst 10 Jahre später.” Was Du tust, hat einen Effekt. Wie Du mit dem Kind umgehst, beeinflusst seinen Blick auf die Welt. Es liegt an Dir. Ist Deine Strategie zu schimpfen oder bist Du wohlwollend, voll Verständnis? Damit hilfst Du euch beiden am meisten.
Schuldgefühle
Es ist ein typisch menschliches Verhalten, Erklärungen für Ereignisse finden zu wollen. Auch wenn diese außerhalb unserer eigenen Möglichkeiten liegen, suchen wir dafür oft die Schuld bei uns. “Wenn ich mich nur mehr angestrengt hätte…” Äußerungen der Eltern im Streit werden so umgedeutet, dass die Kinder sich fragen, ob sie böse, zu frech oder anstrengend waren. Das Kind findet vermeintliche Gründe für die Trennung also bei sich, und trägt diese “Schuldgefühle” zusätzlich mit sich herum.
Das Bedürfnis, bedingungslos geliebt zu werden
Was steckt hinter dem Gedanken “Ich bin schuld!”? Wie fühlt sich das Kind, wenn es denkt, es habe versagt in dem Versuch, die Eltern zusammenzuhalten? Traurig? Einsam? Enttäuscht? Auch hier ohnmächtig und hilflos? Aber eben mit den belastenden Gedanken, dennoch verantwortlich für das Verhalten der Eltern zu sein. Welches Bedürfnis könnte unerfüllt sein: Wertschätzung/Anerkennung? Liebe? Bedingungslos geliebt zu werden, ohne etwas dafür leisten zu müssen? Freiheit? Klein sein dürfen, unbelastet, nicht diese Last zu spüren. Puh, ich merke beim Schreiben schon, wie sehr ich dem Kind helfen möchte, diese negativen Gedanken loszuwerden, damit es genau das kann: einfach unbeschwert Kind sein.
Strategiebeispiel: Aggressivität
Verhalten, das aus dieser Haltung resultieren kann, ist bei Jungen oft nach außen gerichtete Aggression, bei Mädchen häufiger ein selbstzerstörerischer Umgang mit sich selbst. Ein Kind verständnisvoll aufzunehmen, das gerade voller Wut und Aggression ist, ist schon bei den eigenen Kindern nicht leicht. Wer kennt nicht das Bild von schreienden Kindern im Supermarkt, die sich auf den Boden werfen, weil sie gerade etwas Bestimmtes nicht haben können. Welche Gedanken haben wohl die Umstehenden in erster Linie? “Oh, hier ist es Kind in Not. Welches Bedürfnis steckt wohl hinter seinem Gefühl der Wut?” oder vielmehr “Ungezogenes Gör! Hat dem keiner Manieren beigebracht? Bei mir würde es so etwas nicht geben! Das braucht mal eine harte Hand!”
Wut ist ein Gefühl, das wir in unserer Gesellschaft nicht haben wollen. Wir haben schon als Kinder gelernt, dass wir “erst wiederkommen sollen, wenn wir wieder lieb sind”. Wütend zu sein wird von vielen Menschen nicht akzeptiert, geschweige denn als Signal für ein durchaus legitimes und positives Bedürfnis gesehen. Dabei ist genau das der Schlüssel.
Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigstens verdient habe, denn dann brauche ich es am nötigsten.
Dieses Zitat drückt es aus (wobei ich nicht finde, dass man sich Liebe generell verdienen muss): Es geht darum geliebt zu werden. Und zwar trotz des Verhaltens. Weil es gerade eben nicht anders geht. Dem Kind fällt keine bessere Strategie ein, sonst würde es sie wählen. Einfach dieser Gedanke ist schon viel, was Du tun kannst. Nicht verurteilen, nicht bestrafen, einfach da sein lassen. Und allein das ist schon eine große Herausforderung, nicht wahr?
Strategiebeispiel: Abblocken
Mädchen sind seltener aggressiv. Stattdessen richtet sich ihr Ärger oft nach innen in Form von Selbstzweifeln, Depression oder langfristig auch Essstörungen oder ähnliches. Für andere ist es oft leichter, das introvertierte Verhalten der Mädchen auszuhalten. Allerdings fängst Du vielleicht irgendwann an, Dir Sorgen um sie zu machen. Oder Du wünschst Dir mehr und mehr, sie möge sich Dir gegenüber öffnen und hast den Gedanken, sie würde Dich als Person ablehnen. Es kann auch sein, dass gerade ihre Abwehr Dich triggert, weil Du es auf Dich selbst beziehst. Deine belastenden Gedanken könnten sein “Wie undankbar! Ich habe ihr doch nichts getan. Ich gebe mir solche Mühe und sie stößt mich weg. Na gut, dann halt nicht. Ich brauche diese Prinzessin nicht. Soll sie mal sehen, wie das ist, wenn man ständig abgewiesen wird.”
Worum geht es Dir? Verbindung? Selbstwirksamkeit? Gesehen werden? Deine Bedürfniserfüllung hängt nicht davon ab, wie sie sich Dir gegenüber verhält. Sorge Du selbst für Dich. Hol Dir Unterstützung an anderer Stelle. Bei wem kannst Du Deine Gefühle und Bedürfnisse zeigen? Wo kannst Du selbstwirksam sein? Du kannst ihr Verhalten im Augenblick nicht ändern, schon gar nicht mit Druck. Wenn Du die Kraft hast, ihr ohne Ansprüche zu begegnen, hilf ihr durch Zuhören. Aktiv ihre Gefühle hinter ihren (abweisenden) Aussage benennen lässt sie nach und nach selbst zum Kern ihres Problems vordringen.
Verlust des Selbstwertgefühls
Für kleine Kinder ist das Verhalten einer Person mit dem dahinterliegenden Gefühl eng verbunden. “Wenn Du Dich um mich kümmerst, bedeutet das, dass Du mich lieb hast.” So baut ein Säugling, dessen Schreien gehört und auf das reagiert wird, nach und nach Vertrauen auf. Er erlebt sich selbst als wirksam und entwickelt dadurch ein Selbstwertgefühl. Das als Baby entwickelte Urvertrauen ist ein Fundament für eine stabile, selbstbewusste Persönlichkeit. Wie oben erwähnt können Kinder mit einer guten Bindung zu ihren Eltern die Trennung besser verarbeiten. Dennoch wird dieses Urvertrauen auf einer harte Probe gestellt. Denn im Umkehrschluss bedeutet das Verhalten im Falle einer Trennung: Wenn Du Dich nicht mehr um mich kümmerst, hast Du mich auch nicht mehr lieb. Oder zumindest die abgeschwächte Form des Selbstzweifels in der Frage: „Wenn meine Mama oder mein Papa mich verlässt, bin ich ihnen dann noch weiter so viel wert wie früher?“
Der Unterschied zwischen Selbstgefühl und Selbstvertrauen
In seinem Buch “Das kompetente Kind” prägt Jesper Juul die Unterscheidung zwischen Selbstgefühl und Selbstvertrauen. Das Selbstvertrauen bezieht sich auf das, was wir können. Es ist das Überzeugtsein von unseren Fähigkeiten, das nach außen sichtbar wird. Das Selbstgefühl hingegen ist der innere Kern, wer wir sind. Wer ein gutes Selbstgefühl hat, ruht in sich, fühlt sich wohl in seiner Haut und zeigt dies ganz automatisch im selbstbewussten Auftreten nach außen.
Selbstvertrauen aufzubauen ist keine große Kunst, ganze Regalmeter an Selbsthilfeliteratur widmen sich diesem Thema. Positive Bestärkung, “Lob fördert”. Viele denken, dass sie das Selbstwertgefühl des Kindes mit Lob und Belohnungen erhöhen können, dabei ist das Gegenteil der Fall. Lob kommt immer als Bewertung von oben, das widerspricht einer gleichwertigen Beziehung. Kinder möchten stattdessen einfach nur gesehen werden und für andere wertvoll sein. Mit Lob für Geleistetes erreiche ich außerdem nur die äußere Schicht des Selbstvertrauens. Solange das Selbstgefühl aber verkümmert bleibt, hilft einem das langfristig im Leben nicht wirklich weiter, da die Basis fehlt, das Selbstvertrauen substanzlos und daher zerbrechlich bleibt.
Die Bedürfnisse Anerkennung und Wertschätzung
Diese beiden einander auf den ersten Blick ähnlichen Bedürfnisse unterscheiden sich genau darin: Anerkennung bekommt man für etwas, das man tut. Wertschätzung für das, was man ist. Durch diesen grundlegenden Unterschied kann man beides nicht durcheinander ersetzen. Jemand, der viel Anerkennung für seine Leistung bekommt, kann trotzdem ein geringes Selbstgefühl haben, weil er keine Wertschätzung erfährt.
Strategiebeispiel: Posen
neudeutsch für: prahlen, stolzieren, Style zeigen, beneidenswerte Ausstrahlung besitzen
Es kann so anstrengend sein, ständig übertriebene Heldengeschichten anhören zu müssen. Egal, was jemand erlebt hat oder erzählt, das Kind setzt noch einen drauf.
- Die kleine Schwester ist gestürzt und blutet am Knie – “Ich musste aber schon mal ins Krankenhaus!”
- Wir gehen ins Schwimmbad mit Rutsche – “Bei meiner Mama ist die Rutsche aber viel länger und cooler!”
- Heute gibt es Hamburger zum Abendbrot – “Ich hab bei Pauls Geburtstag 10 Stück auf einmal gegessen!”
- Wir laufen an einer Musikschule vorbei und hören Klaviermusik – “Ich kann aber Gitarre spielen!”
Und das stimmt noch nicht mal! Es sind so durchschaubare Lügen! Das Gebilde ist äußerst wackelig, und das Kind weiß es auch. Wird es darauf angesprochen, reagiert es wütend und ungehalten “Du glaubst mir ja eh nicht!” Dabei geht es Dir doch einfach um Ehrlichkeit. Vielleicht glaubt das Kind ja in dem Moment tatsächlich daran? Weil es sich so sehr wünscht, es wäre so. Auf jeden Fall hat es im Augenblick keine bessere Strategie, um sich das Bedürfnis nach Anerkennung zu erfüllen.
Wenn ich mein Bonuskind anschaue, kommt mir oft dieses Bild in den Kopf: Ich sehe einen schüchternen Jungen in der Ecke sitzen. Die Knie angezogen, die Arme um seine Beine geschlungen, den Kopf darauf abgelegt. Ganz klein, zusammengekauert, unsicher. Um sich herum hat er eine Mauer aufgebaut, die ihn beschützen soll. Darauf sind große Graffitis von tollkühnen Taten, die er ohne Anstrengung vollbringt. Ein Siegertyp. Das ist das Bild, was die Menschen von außen sehen sollen, und was er auch selbst von sich sehen mag. Ich kann alles! Ich bin groß! Ich brauche niemanden! Und wer sollte sich schon um den kleinen Kerl in der Ecke bemühen wollen?
Loyalitätskonflikte
Was im Patchworkfamilienalltag durch das Verhalten der Kinder häufig sichtbar wird, sind die Loyalitätskonflikte, in denen das Kind steckt. Zu welchem Elternteil sollen sie halten? Wem erzählen sie was? Auf welche Seite stellen sie sich? Besonders befeuert wird dieser Zwiespalt, wenn ein Elternteil schlecht über den anderen spricht oder das Kind versucht, für seine Zwecke einzuspannen. Auch unbedachte Äußerungen in scheinbar unwichtigen Nebensätzen (“Das ist ja typisch für Deine Mutter!”) haben daran einen erheblichen Anteil. Das Kind ist dann in einer ständigen Stresssituation, um mit ihrer Liebe zum einen Elternteil nicht den anderen zu verlieren. Die Bindung spielt hier eine Rolle für das Verhalten. Möglicherweise bekommt der sichere gebundene Elternteil mehr wütende und aggressive Emotionen ab, da das Kind den anderen Elternteil “schonen möchte”.
Das Bedürfnis nach Verbindung
Was das Kind wirklich braucht, ist die Sicherheit, beide Eltern lieben zu dürfen. Für die Kinder in Trennungssituationen ist wichtig, dass die Beziehung zu beiden Elternteilen weiter besteht.
Eine kleine Zeichnung von einem Dreieck veranschaulicht, was Kinder brauchen, um sich sicher zu fühlen. Die Beziehung (hier durchgezogenen Linien) des Kindes zur Mutter und die Beziehung zum Vater müssen weiter bestehen bleiben. Das ist das grundlegende Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden. Egal wie die äußeren Umstände sind. Das Kind braucht die Beziehung zu beiden Elternteilen. Darüber hinaus braucht es die Gewissheit, dass es für den jeweils anderen Elternteil in Ordnung ist, dass diese Liebe weiter besteht.
Das Kind braucht also 4 Dinge:
- Die Beziehung/Liebe zur Mutter
- Die Beziehung/ Liebe zum Vater
- Die Gewissheit, dass die Liebe zur Mutter für den Vater ok ist
- Die Gewissheit, dass die Liebe zum Vater für die Mutter ok ist.
Für die emotionale Sicherheit des Kindes ist es hingegen nicht relevant, wie die Beziehung zwischen den Eltern (hier die gestrichelte Linie) aussieht. Das Verhältnis zwischen “Frau” und “Mann” ist ja durch die Trennung beendet. Die Rolle als “Mutter” und “Vater” besteht aber weiterhin.
Daraus ergeben sich noch weitere Aspekte: “Über Bande”, also über das Kind, bleiben beide Elternteile miteinander verbunden. Es ist hilfreich, wenn das Bestehen dieser Verbindung allen bewusst ist. Der Zugang des Kindes zu den leiblichen Eltern muss frei bleiben. Das verdeutlichen auch die beiden Linien. Aus der Elternebene sollten die Kindern hingegen herausgehalten werden. Sonst passiert es leicht, dass sie instrumentalisiert werden.
Vielleicht hilft es, sich ein kleines Dreieck an den Spiegel oder die Kühlschranktür zu zeichnen, um sich an diese Prinzipien immer wieder zu erinnern. Wenn dieser Unterschied deutlich gelebt wird, ist das eine gute Basis für den weiteren Aufbau der Patchworkfamilie.
Strategiebeispiel: Dinge schlechtreden
Ist das Bedürfnis nach Verbindung zu beiden Elternteilen nicht wie oben beschrieben erfüllt, versucht das Kind, diese Beziehungen selbst herzustellen. Wenn es Mutter und Vater als ständige Konkurrenten erlebt, erlaubt es sich nicht, zu beiden gleichermaßen offen zu sein. Stattdessen ist eine mögliche Strategie, jeweils zu sagen, dass der andere nicht so toll ist, dass die Zeit dort gar nicht schön war und dass es hier viel besser ist. Solche Äußerungen werden von Eltern jeweils als “Beweis” dafür gesehen, dass das Kind gar nicht zu dem anderen Elternteil möchte. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Es kann natürlich so sein, dass tatsächlich etwas vorgefallen ist. Es kann aber auch eben nur eine Strategie dafür sein, die Beziehung zum einen Elternteil stärken zu wollen.
Gerade die Übergänge zwischen den Haushalten stellen eine besonders schwierige Zeit für die Kinder dar. Vielleicht kennst Du das auch: Euer Wochenende war harmonisch und wirklich schön, aber kurz vor Ende “dreht das Kind durch”, wird wütend, ungerecht, ausfallend. Diese ganzen Bewertungen kommen Dir blitzschnell in den Kopf: “Wie ungerecht! Wir geben uns hier solche Mühe, da könnte er sich ja wenigstens mal bedanken. Stattdessen gibt es nur Genöle, weil bei Mama alles viel besser ist.” Vielleicht hilft Dir der Gedanken, dass das Kind gerade in einem Loyalitätskonflikt steckt. Darf es die Zeit bei Papa wirklich schön finden oder wird Mama dadurch verletzt?
Ein Tipp für Verbindung: Sich selbst authentisch zeigen
Nicht schlecht über den anderen Elternteil zu sprechen ist eine fast schon banale Empfehlung. Da viele Verletzungen in den Erwachsenen selbst aber noch nicht verheilt sind, fällt das oft nicht so leicht wie es sich zunächst anhören mag. Was oft passiert, ist, dass wir darüber sprechen, was der andere in unseren Augen falsch gemacht hat. “Er hätte sich anders verhalten sollen. Sie ist einfach unmöglich.”
Wenn wir das tun, sind wir nicht bei uns selbst. Die Auseinandersetzung mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen ist aber das, was Kinder brauchen. Echtheit. Sie müssen uns sehen können. Erst wenn wir uns zeigen mit dem, was in uns lebendig ist, können wir eine Verbindung mit ihnen aufbauen. Das heißt nicht, dass wir unseren Frust und Ärger bei ihnen abladen sollen. Wir können ihnen aber zeigen, was es heißt, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und die eigenen Bedürfnisse zu benennen. Dadurch geben wir ihnen auch ein Werkzeug in die Hand, über sich selbst zu sprechen und sich uns zu zeigen. Und die Offenheit bildet auch die Basis für eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen.
Trennung – Was geht in den Eltern vor?
Für Eltern ist die Trennung auch keine einfache Situation. In der Zeit der Trennung oder auch schon in den Monaten oder gar Jahren davor gab es viele Konflikte. Grundlegende Bedürfnisse auf beiden Seiten blieben lange Zeit unerfüllt. Der “Liebestank” oder die Schale der Selbstfürsorge ist bis auf den letzten Tropfen geleert. Demnach ist auch die Empathiefähigkeit dem anderen gegenüber bei Null. In vielen Fällen beherrschen Wut und Aggression, Schuldgefühle, Ohnmacht und depressive Verstimmungen das Gefühlsleben.
Als neue Partnerin stehst Du selbstverständlich hinter Deinem Partner. Oft haben wir das Bild von Fronten oder Seiten, wir hier, sie dort. Es ist jedoch nicht hilfreich, dieses Kriegsvokabular hier zu verwenden. Sonst führt es uns nämlich genau da hin: zu einem Kriegsschauplatz. Es ist leider eine oft typische Entwicklung, die aus unserem Denken und der Haltung entspringt, die wir jahrelang gelernt haben. Richtig und falsch, gut und böse, Schuld und Scham.
Es anders machen zu wollen, setzt eine bewusste Entscheidung voraus. Bei den Kindern fällt es uns häufig, zumindest am Anfang noch leichter, ein wohlwollendes Verständnis aufzubringen. Sie sind ja klein und können nichts dafür. Bei der Exfrau sieht das häufig ganz anders aus. Auch hier gilt wieder: Schau zuerst auf Dich selbst. Worum geht es Dir? Was brauchst Du? Wie kannst Du gut für Dich sorgen? Und wenn Du gut genährt bist, hast Du die Kraft, hinter ihre Verhaltensweisen zu schauen. Welche Bedürfnis steckt jeweils hinter der meist unbewusst gewählten (ungünstigen) Strategie? Ein paar Impulse und Anregungen zeige ich Dir jetzt:
Wut und Aggression
Meistens gibt es bei einer Trennung einen aktiven und einen passiven Part. Ein Partner verlässt den anderen. Daraus ergibt sich eine Täter-Opfer-Konstellation. Der Verlassene empfindet dann Wut und Zorn auf den Partner. Wenn der Grund für die Trennung eine andere Person war, kann sich die Wut des anderen Elternteils auch gegen diese richten. Schnell sind wir mit Urteilen von gut und böse bei der Hand. “Wie kann er das tun als Vater? Das ist doch verantwortungslos!” Solche Bewertungen kommen häufig auch aus dem Familien- und Freundeskreis. Diese Konstellation wirkt sich auch auf die Kinder aus. Zu wem sollen sie denn jetzt halten, zum „bösen“ Vater, zur „guten“ Mutter oder umgekehrt?
Bedürfnis: Selbstschutz
Wut ist in den meisten Fällen ein Sekundärgefühl. Das bedeutet, dass ein anderes Gefühl dahinter versteckt ist. Sekundärgefühle verfolgen latent oder offen immer das Ziel der Erhaltung des Status quo. Sie sind oft Teil der emotionalen Schutzschicht des Menschen. Durch die Verbindung mit dem Bedürfnis kommen wir dem gewandelten Gefühl auf die Spur. Das setzt allerdings eine Bereitschaft voraus, daran zu arbeiten. Wut hat oft eine antreibende Wirkung. Sich bewusst davon zu verabschieden, kann auch bedeutet, sich einer Trauer zu öffnen. Vielleicht ist der verlassene Elternteil dazu noch nicht bereit.
Strategiebeispiel: Schimpfen und Beleidigen
In meinen Beratungen wird mir oft erzählt, dass die Kindsmutter derbe Schimpfworte entweder gegenüber dem Kindsvater oder der neuen Partnerin verwendet. Dass das kein guter Ton ist und jeglichen gesellschaftlichen Konventionen widerspricht, ist völlig klar. Ich will das auch nicht gut heißen oder herunterspielen. Niemand möchte gern beleidigt werden. Das geht gegen die Würde und führt natürlich im ersten Moment sofort zu Widerstand. Genau das ist ja das fatale: Druck erzeugt Gegendruck, der Konflikt verschärft sich, die “Fronten” verhärten. Im Umgang kann daher schon das Bewusstsein hilfreich sein, dass Wut (und alles, was damit einhergeht wie Beschimpfungen und Beleidigungen!) ein Mittel zum Selbstschutz ist und nichts mit der beleidigten Person zu tun hat. Statt Gegengewalt kann sich durch diese geändert Sichtweise vielleicht so etwas wie Mitgefühl einstellen.
Schuldgefühle
Den Gedanken von Schuld entwickeln die sich trennenden Eltern oft den Kindern gegenüber. Obwohl aus eigener Sicht gute Gründe für die Trennung sprechen, kommt in ihnen die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, den Kindern das anzutun. Sie sehen das eigene Kind leiden, haben ihre Bitten gehört, nicht zu gehen (s.o. Machtverlust) und verurteilen sich dafür selbst. Das Täter-Opfer-Gefüge entsteht hier zwischen Elternteil und Kind. Um mit diesen Gedanken klar zu kommen, reagieren sie oft abwehrend oder auch aggressiv.
Bedürfnis: Vertrauen
Dahinter steckt der Wunsch nach Absolution, einer Art Erlaubnis oder Freisprache für die Entscheidung, die Trennung vollzogen zu haben. Verständnis für die eigene Situation. Aber von wem sollte diese kommen? Die Angst, die Beziehung zum Kind nachhaltig beschädigt zu haben, trägt ihren Teil dazu bei. Gesehen zu werden mit den Gefühlen der Angst wäre in den meisten Fällen heilsam. Das Konzept von Schuld richtet sich immer auf die Vergangenheit und kann daher nicht wieder gut gemacht werden. Angst ist aber ein Gefühl der Gegenwart wie auch das Bedürfnis nach Vertrauen. Der Wunsch ist, dass die Beziehung zum Kind weiter bestehen bleibt und die Intensität der gegenseitigen Liebe nicht beeinflusst wird. Hier den Blick von der Schuld hin zum Bedürfnis zu richten, eröffnet den Raum für gegenwärtige und zukunftsgerichtete Handlungen.
Strategiebeispiel: Bagatellisieren
Eine Reaktion von Eltern besteht häufig darin, ihre Schuldgefühle zu verdrängen und sich die Situation schönzureden: „Es ist für die Kinder doch gar nicht so schlimm, jetzt bin ich eben allein für sie da und sie müssen sich nicht länger unseren Streit anhören“, denkt manche Mutter. „Da müssen sie eben drüber wegkommen, das Leben ist eben nicht immer einfach“, redet sich mancher Vater die Lage schön. Das Motto ist dann „Alles halb so schlimm, nach ein paar Monaten haben sie es vergessen“. Das erfüllt jedoch nicht das eigentliche Bedürfnis und ist daher höchstens ein oberflächliches Pflaster.
Ohnmachtsgefühle, Rückzug und Depression
Wut und Aggression richtet sich gegen den Partner, Schuld empfinden die Eltern dem Kind gegenüber. Die dritte typische Verhaltensweise ist, die negativen Gefühle auf sich selbst zu beziehen. Verlassen zu werden löst bei den Eltern ein Gefühl von Verlust aus, gegen das sie zunächst nichts tun können. Gerade der Elternteil, der verlassen wurde, oder der, der auf das Zusammenleben mit seinem Kind verzichten muss (in 90 % der Scheidungen ist das der Vater), empfindet häufig eine Ohnmacht und Hilflosigkeit. Gerade in der anschließenden Phase, in der über das Umgangs- und Sorgerecht nicht selten vor Gericht gestritten wird, sind die bevorzugten Schutzstrategien Aggression (s.o.) oder Rückzug. Studien ergeben gerade bei diesen Personen einen hohen Anteil psychischer Probleme, depressiver Verstimmungen, Arbeitsstörungen bis hin zu Burnout und psychosomatischen Störungen.
Bedürfnis: Wirksamkeit
Ähnlich wie beim Kind gibt es hier ein Bedürfnis nach Wirksamkeit oder auch Autonomie. Es geht um das Gefühl, selbst zu entscheiden und Freiwilligkeit zu erleben. Gerade wenn viele Dinge geschehen, die außerhalb der eigenen Entscheidungsgewalt liegen, ist dieser grundlegende Wert nicht erfüllt.
Strategiebeispiel: Starrheit oder Unzuverlässigkeit
Kurzfristig angewandte Strategien können sein, eigenmächtig Entscheidungen zu treffen, die den anderen in eine ähnliche Situation bringen. Ein starres Festhalten an den Umgangsterminen zum Beispiel – oder das genaue Gegenteil: Vereinbarungen immer wieder kurzerhand umzuwerfen, kann eine mögliche Strategie sein, um sich selbst das Bedürfnis zu erfüllen, dass die eigenen Handlungen eine sichtbare Wirkung erzielen.
Trennung – Was geht in Dir als Stiefmutter vor?
Okay, streng genommen bist Du in dem Prozess “Trennung verarbeiten” nicht wirklich involviert. Mir war es wichtig, dass Du einen Blick dafür bekommst, was in den anderen vor sich geht, also den Kindern und den leiblichen Eltern. Dennoch bist Du ein Teil im Patchwork-Familiengefüge. Je nachdem, wann Du Deinen Partner kennengelernt hast, hast Du aber einen Anteil an der Trennungssituation daran. Vielleicht warst Du der Auslöser, vielleicht stimmt das gar nicht, wird aber vermutet. Unter Umständen bekommst Du Vorwürfe zu hören wie “Man macht sich doch nicht an verheiratete Männer heran!”
Für einen Umgang auf Augenhöhe ist jeder Mensch mit seinen Gefühle und Bedürfnissen gleichermaßen würdig, gesehen zu werden. Es gibt keine minderen Gefühle, die keinen Raum verdienen. Im Gegenteil. Um langfristig gute Beziehung zwischen allen Beteiligten zu ermöglichen, müssen alle Gefühle gesehen werden. Wenn wir Gefühle immer zur Seite schieben und unter den Teppich kehren, stolpern wir über kurz oder lang darüber, weil der Berg einfach zu groß wird. Wenn Gefühle da sein dürfen, beachtet und mit den dahinterliegenden Bedürfnissen verknüpft werden, können sie wieder abklingen. Auf der Ebene der Bedürfnisse entsteht der Raum für unterschiedliche Lösungen, die die Anliegen von allen auffangen und berücksichtigen.
Auch diese Phase hält ihre eigenen Herausforderungen für Dich persönlich bereit. Welche (aktuell unerfüllten) Bedürfnisse sind in Dir lebendig? Zugehörigkeit? Vertrauen? Oder Respekt? Wenn Du Dich damit auseinander setzt, hast Du die Chance zu wachsen und zu reifen.
Durch Zufall bin ich auf diese Seite gestossen und glaube, dass ich noch viel von den Texten lernen kann. Unsere zweite Ehe besteht seit 38 Jahren. Harte Arbeit mit drei Stieftöchtern, Verwandten und Freunden der Stiefkinder – sie sind 56, 59 und 60 Jahre alt. Was mir aufgefallen ist: Patchwork ist die neue Stieffamilie. Ich bedaure das sehr, denn dadurch wird der „Stief“-Begriff einfach nicht positiver in unserem Sprachgebrauch eingepflegt. Wenn dann „Stief“ genutzt wird, dann oft als „stiefmütterlich“ im Sinne von vernachlässigen, schlecht behandeln und bösartig. Das ist genau der Punkt, an dem wir alle arbeiten sollten. Ich arbeite aktiv dafür, wann immer angebracht, von meiner Stieffamilie und den Stiefkindern zu sprechen. Ausserdem schreibe ich Mails an Politiker und Leute im TV und weise sie auf diesen herabwürdigenden Einsatz von „stiefmütterlich“ hin. Die Reaktionen sind immer positiv!
Liebe Grüsse von Anne Marie
Liebe Anne Marie,
danke für Deinen Kommentar! Du hast Recht, das Wort Stiefmütter ist negativ besetzt. Allerdings ist es immer noch der Begriff, der am häufigsten gesucht wird. Die „Bonuseltern“ haben sich nicht wirklich durchgesetzt; auch bekomme ich oft das Feedback, dass diese Bezeichnung für die angespannte Stimmung zu positiv sei. Und bei „Patchwork“ landet man schnell in der Handarbeitsecke 😉 Für mich gehört die Auseinandersetzung mit dem Begriff zum Prozess, den ich als „Frau, die sich für einen Mann mit Kind entscheidet“ durchlaufe…
Grüße von Herzen,
Marita
Da ich selbst therapeutisch arbeite, bin ich auch immer wieder offen für andere Inputs und Ansichten. Somit bin ich per Zufall auf diese Seite gestossen und betrifft gerade ein aktuelles Thema.
Liebe Evelyne, oh, das freut mich, dass ich da zu Deiner Arbeit beitragen kann. Ich empfinde Inputs und neue Blickwinkel auch als sehr bereichernd (Perspektivwechsel eben ;)) Wenn Du möchtest, können wir uns gern dazu austauschen.
Alles Gute für Dich, Deine Marita