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Last Updated on 29. November 2021 by Marita

Weil Du mir gehörst“ heißt ein Film, der im FilmMittwoch der ARD gezeigt wurde. In der Mediathek ist der Fernsehfilm aktuell noch bis zum 20.10.2020 verfügbar. Die sehr aufwühlende Geschichte zeigt einen Sorgerechtsstreit, und dahinter liegend das Phänomen der „Eltern-Kind-Entfremdung“ auch PAS (engl. Parental Alienation Syndrome) genannt.

Eltern-Kind-Entfremdung im Fernsehfilm „Weil Du mir gehörst“

Julia und Tom haben sich scheiden lassen. Tochter Anni, die im Film ihren 8. Geburtstag feiert, lebt bei der Mutter. Jedes 2. Wochenende ist sie beim Vater, der mit seiner neuen Freundin Jenny und ihrer Tochter Mia zusammen lebt. Zu Beginn des Films sehen wir, wie fröhlich Anni an den Umgangswochenenden ist. Die Beziehung zu ihrem Papa, der „Stiefmutter“ und der „Bonusschwester“ sind liebevoll. Wie kommt es dazu, dass nur 1 Jahr später Anni Angst vor ihrem Vater hat und jeden Kontakt zu ihm ablehnt?

Während Anni mit ihrem Papa und seiner „neuen Familie“ einen Ausflug in den Tierpark macht, ist Annis Mama Julia allein. In ihrer EInsamkeit ruft sie häufig auf Annis Handy an. Trotz der Beteuerungen, zum Wohl des Kindes für eine guten Umgang mit dem anderen Elternteil zu sorgen, beginnt Julia, ihre Tochter immer mehr zu beeinflussen und gegen den Vater einzunehmen. Durch einen Umzug hat Tom keine Möglichkeit mehr, mit Anni Kontakt aufzunehmen. Ihr Handy wird einfach vertauscht, der Vater als desinteressiert und unzuverlässig dargestellt.

Das elterliche Entfremdungssyndrom (PAS) nach Kinderpsychiater Gardner

Das elterliche Entfremdungssyndrom (PAS) wurde 1985 zum ersten Mal von dem US-amerikanischen Kinderpsychiater Richard A. Gardner so bezeichnet. Gardner beschreibt dabei insgesamt 8 Sypmtome, die sich im Verhalten des Kindes zeigen.

PAS-Symptom 1: Hass und Abwertung eines Elternteils durch das Kind

Im Film ist der entfremdete Elternteil der Vater. In einem Brief schreibt Anni „Was muss ich tun, damit Du uns endlich in Ruhe lässt? Am liebsten will ich Dich nie mehr sehen. Geh endlich aus meinem Leben. Ich hasse Dich.“

PAS-Symptom 2: schwache, absurde oder alberne Begründungen für diesen Hass und diese Abwertung

Die Unzuverlässigkeit des Vaters ist für Anni die Wahrheit, da Tom tatsächlich plötzlich nicht mehr zu ihr gekommen ist und auch telefonisch nicht mehr erreichbar war. Die Mutter bringt sie zu spät zum Treffpunkt und suggeriert Anni damit, ihr Vater sei ohne sie in den Urlaub gefahren.
Im späteren Verlauf des Film, fügt sich Anni selbst eine Schnittverletzung zu, die sie vor dem Richter dem Vater anlastet.

PAS-Symptom 3: Fehlen der üblichen Ambivalenz gegenüber dem entfremdeten Elternteil

Die Aussagen, Erklärungen oder Argumente von Tom ist Anni nicht mehr bereit sich anzuhören.

PAS-Symptom 4: starkes Bestehen des Kindes darauf, dass es allein seine Entscheidung war, einen Elternteil abzulehnen

Das zeigt sich in der Szene ganz am Anfang des Films, in der Anni mit dem Richter spricht und ihre Angst vor dem Vater äußert.

PAS-Symptom 5: reflexartige Unterstützung des bevorzugten Elternteils während des Sorgerechtsstreits

Als die Mutter die Vorladung zur Sorgerechtsverhandlung bekommt, schreibt Anni ihrem Vater einen Brief (s.o.), in dem sie ihn auffordert, sie endlich in Ruhe zu lassen.

PAS-Symptom 6: Fehlen von Schuldgefühlen bezüglich des Verhaltens gegenüber dem entfremdeten Elternteil

Anni zieht sich vom Vater zurück. Beim ersten begleiteten Umgang im Jugendamt dreht sie sich zur Mutter und lässt keinen Kontakt zu. Und am Filmende: „Ich bin nur hier, weil ich muss, damit Mama keinen Ärger kriegt.“

PAS-Symptom 7: Gebrauch von Redewendungen und Szenarien des bevorzugten Elternteils

„Er ist jähzornig, stur und egoistisch, das weiß ich genau.“

PAS-Symptom 8: Abwertung nicht nur des entfremdeten Elternteils, sondern auch von dessen Familie und Freunden.

Bei einer späteren Begegnung zieht sich Anni auch von der Oma väterlicherseits zrück.

Es ist mir wichtig darauf hinzuweisen, dass Gardners Theorie und diesbezügliche Forschung von mehreren Autoren als falsch und hetzerisch kritisiert wurden. Das PAS wurde fachwissenschaftlich mehrheitlich als Störung nicht anerkannt. Es ist nicht mein Anliegen, den wissenschaftlichen Anspruch zu überprüfen. Stattdessen liegt mein Fokus als Kommunikationstrainerin darauf, wie sich Erwachsene in einer solchen Situation verhalten können.

Eltern-Kind-Entfremdung – Intervention im frühen Stadium

Im Film wird deutlich, was der Grund für die sukzessive Entfremdung ist: Julia hat die Trennung nicht verarbeitet. Sie ist verletzt, wirft ihrem Ex immer wieder vor, dass er sie betrogen hat und fremd gegangen ist. Darin wird sie auch durch ihre Mutter bestärkt, die das Verhalten von Tom ebenso verurteilt.

Unterschiedliche Wertvorstellungen lösen verschiedene Bewertungen aus

Es geht hier nicht darum, das Verhalten von Julia und Tom zu bewerten; weder zu verurteilen noch gut zu heißen. Sondern schlicht zu verstehen. Selbstverständlich ist es „nicht okay“ in einer Ehe fremdzugehen, genauso wenig wie es okay ist zu lügen oder ein Kind zu manipulieren. Die meisten Menschen würden dieser Aussage zustimmen, denn in unserer Gesellschaft gibt es bestimmte Werte und Normen, die unseren Blick auf die Welt prägen. Zusätzlich hat jede Familie und jeder einzelne Mensch Wertvorstellungen, auf deren Basis er seine Entscheidungen trifft und das Verhalten von anderen misst. Es ist wichtig zu verstehen, dass alle Bewertungen individuell sind und jeder Mensch andere Maßstäbe ansetzt.

Solange wir an den Begriffen von Schuld und Rechtfertigung festhalten, gibt es aber keinen Weg hinaus. Die Fragen „Wer ist im Recht?“ und „Wer hat Schuld?“ trennen Menschen voneinander. Da helfen auch Beteuerungen, dass man gemeinsam für das Kind eine Lösung finden will, nicht weiter. Gefühle müssen Raum haben, gesehen werden, um heilen und abklingen zu können.

Gefühle brauchen Raum. Mitgefühl ist unser wichtigstes Bedürfnis.

Dieser Schmerz, der nicht gesehen wird, führt zu dem Wunsch nach Rache und Vergeltung. Julia kann den Gedanken nicht ertragen, dass Tom mit seiner neuen Freundin ein harmonisches Familienleben mit ihrer gemeinsamen Tochter lebt, während sie selbst allein ist. Die Wut, Hilflosigkeit und Einsamkeit bekommen keinen Raum. In den gemeinsamen Gesprächen geht es nie um sie. Ihre Verletzung zeigt sich in den Vorwürfen, die sie Tom macht. Statt sich Zeit für die Verarbeitung der Trennung und des vorangegangenen Verhaltens zu nehmen, werden diese Gefühle weggeschoben. Umso stärker kommen sie im Laufe des Films wieder zurück und äußern sich durch schädliche Strategien der Entfremdung.

Eltern-Kind-Entfremdung Gespräch im Cafe
Gemeinsame Aussprache im Cafe

Was Julia braucht, ist Empathie, gesehen zu werden in ihren Gefühlen und Bedürfnissen (nach Verbindung, nach Empathie, Verständnis oder Mitgefühl). Das muss nicht zwangsläufig durch ihren Ex erfolgen, eine Freundin, Therapeutin, Bekannte oder ihre Mutter wären genauso als Gesprächspartner möglich. Jedoch wäre es auch hilfreich, wenn Tom selbst die Kraft dafür aufbringen könnte, da das zu einer Basis und Verbindung zwischen den getrennten Ehepartnern führt. Zwar ist es Julias Aufgabe, für ihre eigenen Bedürfnisse zu sorgen. Sie hat jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht das Wissen und die Kapazität dafür.

Das Bedürfnis, gesehen zu werden, gilt für beide

Tom selbst hat eigene Gefühle zu verarbeiten: Wut und Ärger, weil es keine Verlässlichkeit gibt. (Zuverlässigkeit, Vertrauen, Leichtigkeit sind an dieser Stelle vermutlich seine Bedürfnisse.) Er beschreibt in einem Gespräch mit Julia seine Beobachtung, dass er „im letzten halben Jahr an 7 Wochenenden Anni nicht sehen konnte“. Seinen Wunsch nach Empathie formuliert er so:

Dann kannst Du Dich vielleicht auch mal in meine Lage versetzen. Ich will meine Tochter abholen, aber keiner ist da. Du gehst nicht an Dein Telefon, Anni auch nicht. Was soll ich denn da denken?

Kurz zuvor beschreibt er seine Bitte „Ich will, dass wir das mit Anni so hinkriegen.“ Diese kommt allerdings als Drohung daher, da sie von der Aussage begleitet wird: „Ich bin gerade beim Jugendamt. Ich will das alles nicht, aber so geht es nicht weiter. Du lässt mir keine Wahl.

Wenn man die einzelnen Aussagen genauer betrachtet, wird deutlich, dass die Spirale aus Vorwürfen, Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen schon früh anfängt. Je eher dort interveniert wird, desto leichter ist es noch, einen Weg heraus zu finden. Zu diesem Zeitpunkt würde eine Beratung oder Mediation noch gut greifen, da beide Parteien grundsätzlich gesprächsbereit sind.

Recht haben oder glücklich sein? – Beides geht nicht.

Dieses bekannte Zitat aus der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation bringt es auf den Punkt. Sich auf sein „gutes Recht“ zu berufen, mit dem Anwalt zu drohen oder ein ums andere Mal vor Gericht zu ziehen, führt nicht zu einem entspannten Umgang miteinander.

Es gibt eine gerichtlich festgelegte Elternvereinbarung und an die hat sich ihre Ex-Frau zu halten, ob sie will oder nicht.

eine Mitarbeiterin des Jugendsamts im Film „Weil Du mir gehörst“

Zwar ist es sinnvoll, Sorgerecht und Umgänge gerichtlich festlegen zu lassen. Es gibt eine Verpflichtung, sich an diese Vereinbarugnen zu halten. Was aber, wenn das nicht geschieht? Druck erzeugt Gegendruck und je mehr Gewalt ausgeübt wird, desto gewalttätiger wird auch die Reaktion ausfallen – solange nicht einer der Streitpartner bewusst Abstand davon nimmt.

Recht haben oder glücklich sein - Mahatma Gandhi

Hilfreich ist eine Dreipunkt-Kommunikation. Also nicht Ich-Du, sondern Wir-beide-und-das-Problem. Wenn beide Parteien gesehen werden mit ihren Bedürfnissen (z.B. Verlässlichkeit beim Vater, Zugehörigkeit bei der Mutter), können Lösungen gefunden werden, die alle Positionen berücksichtigen.

PAS und passiv-aggressives Verhalten

Im späteren Verlauf des FIlms ist eine nach außen sichtbare Annährung mehr und mehr unmöglich. Die Fronten verhärten sich, eine Kommunikation findet gar nicht mehr statt, selbst Blickkontakt wird vermieden.

Das einzige, was jetzt getan werden kann, ist, die eigene Haltung zu reflektieren. Die Annäherung findet dabei sozusagen im Verborgenen statt. Der Blickwinkel ist dabei derselbe wie direkt nach der Trennung: auf die Bedürfnisse, die hinter allen Handlungen stecken. Das Motiv ist nicht Rache, sondern Verzweiflung. Der Wunsch nach Liebe, das unerfüllte Bedürfnis nach Wertschätzung.

Vergebung offene Hände mit gelber Blume

Diesen Perspektivwechsel zu vollziehen und den eigenen Schmerz und das „gute Recht“ loszulassen, ist unglaublich anstrengend. Es ist deshalb hilfreich, sich dafür Unterstützung zu holen, sei es bei einem Therapeuten, Seelsorger oder Coach. Auch wenn die Empfehlung zu vergeben fast sarkastisch erscheinen mag, ist Vergebung dennoch der Schlüssel zum eigenen Glücklichsein. Um Empathie für den anderen aufbringen zu können, muss zunächst die eigenen Schale gefüllt werden. Selbstempathie oder Mitgefühl von einem anderen Menschen führen zu Heilung und Resilienz.

PAS – Leben mit den Ergebnissen

In einer überraschenden Wende am Ende des Films wird Julias Forderung, die Umgänge auszusetzen, abgewiesen. Stattdessen bekommen Julia und Tom vom Gericht eine Mediation auferlegt. Die letzte Szene zeigt Anni, die erstmalig wieder im Haus ihres Vaters ist. Sie zieht sich in ihr Zimmer zurück. Die Begründung für ihr Verhalten drückt sie auch verbal aus: „Ich bin nur hier, weil ich muss, damit Mama keinen Ärger kriegt.“

Ob diese Entscheidung gängige Praxis ist, sei dahingestellt. Auch dass die Mutter selbst die Tochter zu ihrem Ex bringt, ohne Begleitung durch das Jugendamt, ist in der Realität nicht unbedingt üblich. Egal. Was mir wichtig ist, ist die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Wie geht Tom zukünftig mit seiner Tochter um, die gelernt hat, ihn abzulehnen?

PAS Kinderzimmer als Rückzugsort
Kinderzimmer als Rückzugsort

Das Trauma des Kindes…

Annis Entwicklung im Laufe des Films ist bezeichnend. Aus einem fröhlichen, gelösten und offenen Mädchen ist ein verschlossenes, zutiefst verstörtes und unsicheres Kind geworden. Sie glaubt den Worten ihrer Mutter und lebt in der Realität, dass der Vater sie nicht liebt und sich nicht um sie kümmern wollte. Dafür kann man ihr keinen Vorwurf machen! Sie ist noch zu klein, um für sie offensichtliche Dinge zu hinterfragen. Sie ist traumatisiert, ihr Vertrauen ist nachhaltig gestört. Jegliches Verhalten, Ablehnung dem Vater gegenüber, Loyalität zur Mutter ist ein Resultat aus dem, was ihr widerfahren ist.

…spiegelt sich in seinem Verhalten

Was nach der Trennung ihrer Eltern in Kindern vor sich geht und welche Gefühle sie bewältigen müssen, habe ich im Artikel „Trennung – Gefühle und Bedürfnisse hinter bösen Verhaltenswesein“ ausgeführt. Wenn eine Eltern-Kind-Entfremdung stattgefunden hat, ist die sichere Bindung und das Urvertrauen des Kindes zusätzlich schwer beschädigt. Bei allem, was das Kind tut, wie „schlimm“ es sich verhält, ist es wichtig, das im Hinterkopf zu behalten. Das Kind tut es nicht, weil es gemein sein will, sondern weil es nicht anders kann. Es hat Angst, ist hilflos, verzweifelt und ohne Selbstwertgefühl. Das grundmenschliche Bedürfnis, geliebt zu werden, ist nicht erfüllt. Anni hat keinen Begriff von bedingungsloser Liebe. Sie glaubt nicht dran, wertvoll und wichtig für ihren Vater zu sein.

Liebe, Liebe und noch mehr Liebe als Heilmittel bei PAS

Mehr als alles andere braucht Anni nun Liebe. Dabei geht es nicht darum, sich ihre Zuneigung durch Geschenke oder Zugeständnisse zurückerobern zu wollen. Auch ist dies kein Plädoyer dafür, alles zu entschuldigen und ihr „durchgehen zu lassen“ aus Angst vor einem erneuten Beziehungsabbruch. Aber solange keine Beziehung als Basis wieder aufgebaut werden konnte, ist es zu früh, um sie erziehen zu wollen. (Mehr über das Prinzip BEziehung vor ERziehung findest Du in den Blogbeiträgen „Du erziehst so wie ich nicht will“ und „Darf ich mein Stiefkind erziehen„.)

Höchstwahrscheinlich wird sich Anni entweder komplett zurückziehen und vom Familienleben beim Vater abkapseln oder – als anderes Extrem – lautstark rebellieren, sich aggressiv verhalten und unter anderem vermehrt Schimpfworte benutzen. Dabei ist ihr klar, dass das kein gutes Verahlten ist. Sie braucht keine Strenge, Konsequenzen oder klare Ansage, um sich zu bessern. Stattdessen hat Astrid Lindgren einen guten Vorschlag: Schenkt den Kindern Liebe, mehr Liebe und noch mehr Liebe, dann kommen die Manieren von allein.

PAS Liebe als Heilmittel

Es wird eine lange Zeit dauern, bis die Wunden verheilen und eine Beziehung zum entfremdeten Elternteil wieder möglich ist. Während dieser Phase helfen nur Liebe und Geduld – und Selbstfürsorge für die eigenen Verletzungen. Es ist absolut ratsam, sich dabei Unterstützung von einem Therapeuten oder Coach zu holen.

Hast Du den Film „Weil Du mir gehörst“ gesehen? Was sind Deine Gedanken dazu? Schreib es mir in die Kommentare.

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