Last Updated on 12. Oktober 2022 by Marita
Was haben Depression, Tinnitus, Dyskalkulie, Sucht und Einsamkeit gemeinsam? Es gibt eine Selbsthilfegruppe für Betroffene!
Die Seite Selbsthilfe e.V. listet über 150 Themen auf – da sind allerdings „Eltern“, „Mütter“ und „Stiefmütter“ nicht mal dabei. Doch tatsächlich gibt es auch Selbsthilfegruppen für Stiefmütter. Und es werden immer mehr. Das zeigt, dass das Thema Patchworkfamilie und die Probleme drumherum gesellschaftlich wahrgenommen werden und an Bedeutung gewinnen. Ich finde das richtig und wichtig!
Doch was ist eigentlich eine Selbsthilfegruppe? Was bringt sie dir? Und was eben auch nicht? In diesem Artikel bekommst du alle Pro und Contra Argumente übersichtlich aufgelistet. Außerdem beleuchten wir die Online-Alternative Facebook-Gruppe und ich gebe dir meine persönliche Erfahrung und Einschätzung mit auf den Weg.
Was ist überhaupt eine Selbsthilfegruppe?
Selbsthilfegruppen sind selbstorganisierte Zusammenschlüsse von Menschen, die ein gleiches Problem oder Anliegen haben und gemeinsam etwas dagegen bzw. dafür unternehmen möchten. […]
Selbsthilfegruppen dienen im Wesentlichen dem Informations- und Erfahrungsaustausch von Betroffenen und Angehörigen, der praktischen Lebenshilfe sowie der gegenseitigen emotionalen Unterstützung und Motivation. Darüber hinaus können Selbsthilfegruppen durch entsprechende Organisationen in unterschiedlichem Grad die Belange ihrer Mitglieder nach außen vertreten. […]
Selbsthilfegruppen werden meist ehrenamtlich geleitet.
Wikipedia, „Selbsthilfegruppe“, Abruf am 14.9.2022
In Selbsthilfegruppen treffen sich also Menschen, die ein bestimmtes Problem teilen, um ihre Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig Tipps zu geben. Dafür gibt es viele gute Gründe.
Pro: Welche Vorteile bietet dir eine Selbsthilfegruppe?
- „Ich bin nicht alleine.“
Du kennst in deinem persönlichen Umfeld keine andere Patchworkfamilie? Das kann sich schon sehr einsam anfühlen. In einer Selbsthilfegruppe triffst du plötzlich viele Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind wie du und merkst: Ich bin gar nicht exotisch, sondern ganz normal. Und anderen geht es vielleicht sogar noch schlechter als dir. - „Ich werde verstanden.“
Freunde und Familienmitglieder können deine Situation oft nicht nachvollziehen. Stattdessen kommen sie mit wenig hilfreichen Sätzen um die Ecke (vgl. das Bullshit-Bingo für Stiefmütter). In einer Gruppe von anderen Patchworkern musst du nicht groß erklären, welche Gefühle du dem Kind deines Partners gegenüber hast – du wirst einfach verstanden. - „Ich finde neue Freundinnen.“
Wenn wir Menschen uns verstanden fühlen, fassen wir Vertrauen zu der anderen Person. Dann können wir uns öffnen, und frei von unseren Ängsten und Problemen erzählen. Daraus entstehen Freundschaften, die über die Zeit der Selbsthilfegruppe hinaus Bestand haben. Meine Mutter erzählte neulich von drei Damen aus ihrer Wandergruppe, die sich vor 25 Jahren in einer Selbsthilfegruppe für untreue Ehemänner trafen. - „Ich bringe mich aktiv ein.“
Alle Teilnehmer haben zwar das gleiche Problem – aber unterschiedlich lange. Wenn du schon viele Erfahrungen gesammelt hast, können diese für die anderen hilfreich sein. Du bekommst so das Gefühl, einen Beitrag leisten zu können. Was du durchgemacht hast, war nicht umsonst, sondern kann wenigstens anderen helfen, nicht die gleichen „Fehler“ zu machen. - „Ich lege einfach los.“
Selbsthilfegruppen sind in der Regel ohne große Hürden zugänglich. Oft muss man sich nicht einmal anmelden, sondern kann einfach an den Treffen teilnehmen, wenn man so weit ist. Ganz ohne Papierkram, der nur Zeit kostet! - „Ich kann jederzeit gehen.“
So einfach wie man zu einer Selbsthilfegruppe dazustoßen kann, so leicht kann man auch wieder wegbleiben. Es gibt keine Verpflichtung, regelmäßig oder über einen längeren Zeitraum an den Treffen teilzunehmen. - „Ich brauche kein Geld zu bezahlen.“
Einfach aktiv zu werden ohne Anmeldung und jederzeit gehen zu können – das beides ist auch deshalb möglich, weil Selbsthilfegruppe in der Regel kostenlos sind. Manchmal stehen soziale oder kirchliche Einrichtungen dahinter, oft leisten Ehrenamtliche ihren Beitrag ohne Bezahlung, weil sie helfen wollen oder selbst betroffen waren oder sind.
Contra: Nachteile und Grenzen von Selbsthilfegruppen
Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein? Diese negativen Aspekte solltest du ebenso berücksichtigen:
- „O Gott! Das ist ja alles noch viel schlimmer als ich befürchtet habe!“
Nicht immer sind die Erfahrungen von anderen Stiefmüttern hilfreich für dich. Horrorgeschichten über das Jugendamt, unfaire Entscheidungen vor Gericht, Eltern-Kind-Entfremdung – solche Szenarien können regelrecht schockierend sein . Statt den Blick auf das Positive zu lenken und konstruktiv zu sein, entstehen Schreckensvisionen von deiner eigenen Zukunft. Nicht gut. - „Ich weiß nicht, auf wen ich hören soll.“
Klar, die anderen Gruppenmitgliedern wollen dich unterstützen. Was sie dir an Tipps geben, ist sicherlich nach bestem Wissen und Gewissen und aus ihren eigenen Erfahrungen abgeleitet. Leider sind sie aber eben auch „nur“ das: selbst Betroffene. Keine Experten. Keine Therapeuten, Coaches oder Berater.
„Du musst dich mehr durchsetzen!“ oder „Zieh dich lieber komplett raus am Kinder-Wochenende.“ Auf welchen von beiden Ratschlägen sollst du jetzt hören? Unqualifizierte Vorschläge können dich verunsichern und Schaden in der Beziehung und in dir auslösen. Egal, wie gut sie gemeint sind. - „Mir geht es jetzt noch schlechter.“
Küchentischpsychologie kann regelrecht gefährlich sein. Als Stiefmutter bekommt man quasi über Nacht ein oder mehrere Kinder verschiedenster Altersstufen vor die Nase gesetzt, die man plötzlich erziehen soll (oder gerade nicht?). Das Verhalten von Trennungskindern ist für die neuen Partner eine große Herausforderung. Vielleicht rutschst du in die Eifersuchts-Falle („Wenn sein Kind kommt, bin ich abgemeldet!“). „Heile zuerst dein inneres Kind. Ich hab da eine tolle Meditation.“ Das kann nach hinten losgehen, wenn plötzlich eigene Kindheitserfahrungen angetriggert und dann nicht professionell begleitet werden. Lieber Finger weg! - „Ich drehe mich im Kreis und komme nicht wirklich voran.“
Über Probleme zu sprechen, ist gut. Gemeinsame Probleme mit anderen zu teilen, macht Menschen zu einer Schicksalsgemeinschaft. Manche wollen dann gar nicht mehr wirklich aus der Opferrolle heraus. Denn es hat ja auch Vorteile: Man bekommt viel Aufmerksamkeit und kann immer wieder effektvolle Geschichten über weitere Ungerechtigkeiten erzählen. Zu jammern und im eigenen Saft zu schmoren, ändert aber nichts an deiner Situation. Die Selbsthilfegruppe kann dann als Ausrede herhalten, nicht wirklich etwas zu tun. Zeitverschwendung.
Sind Facebook-Gruppen eine neue Alternative zur klassischen Selbsthilfegruppe?
Nicht erst seit Corona sind Online-Treffen auf dem Vormarsch. Facebook hat schon vor gut drei Jahren vermehrt auf Gruppen gesetzt.
Ich lasse mich selbst von veganen Rezepten inspirieren (das war Gold wert, als meine Tochter mit Neurodermitis zu kämpfen hatte und plötzlich auf Milch und Eier verzichten musste), suche und verschenke Spielsachen in meinem Stadtteil und tausche mich mit meinen Coaching-Kolleginnen aus. Für jedes Thema gibt es eine Facebook-Gruppe.
Meine Gruppe Patchwork Power hat mittlerweile fast 2.000 Mitglieder (und du bist herzlich eingeladen!).
Man kann sich also fragen:
Können Facebook-Gruppen die klassischen Selbsthilfegruppe ersetzen?
Was Facebook-Gruppen dir bringen
Grundsätzlich muss man zwischen geheimen, offenen und geschlossenen Gruppen unterscheiden. Offene Gruppen sind ohne Anmeldung für jeden zugänglich. Was dort gepostet wird, ist für alle auch außerhalb der Gruppe sichtbar. Mehr „Schutz“ bieten geschlossene Gruppen, die man nur über eine Beitrittsanfrage erreicht. Geheime oder private Gruppen sind über die Suchfunktion gar nicht auffindbar.
Ich spreche hier von „geschlossenen Gruppen“. Denn für sensible Themen wie Krankheiten, Erziehung oder eben auch Patchwork ist ein sicherer Rahmen wichtig. Deshalb fallen die meisten Gruppen in diese Kategorie. Diese Vorteile haben Facebook-Gruppen:
- Sich nicht mehr alleine, sondern verstanden fühlen. Das kann sich auch hier für dich erfüllen. Gerade wenn es in deiner Gegend keine Selbsthilfegruppe gibt, können „virtuelle Bekanntschaften“ einen ähnlichen Stellenwert haben wie „echte Begegnungen“.
- Nicht nur in deiner Stadt oder Region – auf Facebook findest du Stiefmütter aus dem gesamten deutschsprachigen Raum! Dadurch können bestehende Gruppen im Laufe der Zeit auf mehrere 1000 Mitglieder anwachsen. Allerdings werden nicht alle davon aktiv mitdiskutieren. Es gibt immer einen Anteil an „stillen Mitlesern„. Du kannst dich also aktiv einbringen, musst es aber nicht oder nur in dem Umfang, der für dich passt.
- Eine Facebook-Gruppe ist jederzeit zugänglich. Abends, nachts, am Wochenende. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Irgendjemand wird schon online sein und deinen Post sehen. Online kannst du „deine“ Gruppe rund um die Uhr kontaktieren und musst nicht auf das nächste Treffen warten.
- Online bedeutet auch immer ein Stück weit anonym. Die Hürde beizutreten ist gering, vor allem, wenn du ein Symbol als Profilbild verwendest (Achtung: nicht alle Gruppen nehmen solche Profile auf)
- Es gibt einen Ansprechpartner für dich. In der Regel hat ein Admin oder Moderator (manchmal auch mehrere) in der Gruppe den Hut auf. Er sorgt dafür, dass die Regeln eingehalten werden und greift bei Streit ein.
Deshalb ersetzt eine Facebook-Gruppe NICHT die Selbsthilfegruppe
Neben den ganzen guten Argumenten, die für eine Gruppe sprechen, gibt es auch einige Contras. Diese finde ich so gewaltig und relevant, dass sie mein Fazit bestimmen.
- „Über das alles zu sprechen, fällt schon schwer. Es schriftlich zu formulieren, geht gar nicht.“
In einer Selbsthilfegruppen möchtest du dir deine Probleme von der Seele reden. Stattdessen brauchst du ewig, um schriftlich zu fassen, was eigentlich los ist. Wenn es zu lang wird, liest das doch keiner, oder? „Sorry für den langen Text“ sehe ich oft. Wie viel von dem, was dir wichtig ist, kommt tatsächlich an? Außerdem gibt es keine Mimik, Gestik, Tonfall. Kein Wunder, wenn man leicht missverstanden wird. - „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass manchmal in den Facebook-Gruppen ein sehr rauer Ton herrscht. Auch wenn die Admins dazwischen funken, sind oft die Hilfesuchenden schon geschockt geflüchtet. Das ist mir bisher in keiner Selbsthilfegruppe passiert.“, sagt Marie.
Wenn man dem anderen ins Gesicht blickt, muss schon einiges vorfallen, bevor man seine guten Manieren vergisst. In Facebook-Gruppen sind harsche Formulierungen (bis hin zu Beleidigungen) leider an der Tagesordnung. Da braucht man schon ein hartes Fell, um diese Kommentare nicht an sich heranzulassen. Eine wirklich vertrauensvolle Atmosphäre ist dann schwer aufrecht zu erhalten. - „Bei mehreren hundert Teilnehmern hat doch keiner den Überblick!“
Anonymität hat Vorteile (s.o.). Hinter nichtssagenden Profilbildern kann sich aber sonstwer verstecken: Jemand aus der Schule, deine Nachbarin oder gar die Ex-Frau oder ihre beste Freundin? Zwar gibt die „Netiquette“ die Regel vor, dass aus Gruppen nichts nach außen getragen werden soll. Wenn es aber doch passiert, stehst du ziemlich dumm da.
Weder Selbsthilfegruppe, noch Facebook-Gruppe – was dann?
Du hast keine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe oder möchtest aus welchem Grund auch immer dort nicht hingehen?
Facebook-Gruppen sind dir zu groß oder haben dir nur ein kleines Stück weitergeholfen?
Dann gibt es einen „goldenen Mittelweg“ für dich: Online-Gruppen wie z.B. den Patchwork Power Kurs.
- Damit meine ich eine feste Gruppe über einen längeren Zeitraum (einige Wochen bis mehrere Monate)
- Entweder alle Mitglieder starten zum gleichen Zeitpunkt und nehmen ein Programm gemeinsam durch („Kurs„) oder man kann jederzeit einsteigen („Club“ oder „Mitgliederbereich“)
- Du hast einen Gruppenleiter als Ansprechpartner
- Es finden regelmäßig online Treffen statt, z.B. über die Videoplattform Zoom
Was bringt dir eine Online-Gruppe?
Viele Pro-Argumente, die für eine Selbsthilfegruppe sprechen, werden auch durch diese Form der Online-Gruppe abgedeckt:
- Du bist nicht alleine und wirst mit deinem Problem verstanden.
- In der Gruppe findest du Gleichgesinnte, Patchwork-Paare oder Stiefmütter, die mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben wie du.
- Du kannst deine eigenen Erfahrungen aktiv einbringen, sofern du das möchtest.
- Es gibt keine räumlichen Hürden, du brauchst keine Kinderbetreuung, um das Haus verlassen zu können. Stattdessen kannst du bequem aus deinem vertrauten Zuhause an den Treffen teilnehmen.
- Du hast einen klaren Ansprechpartner, der die Gruppe professionell leitet und dich als Coach begleitet.
Gibt es auch Nachteile? Auf den ersten Blick schon:
- Eine intensivere Betreuung ist – anders als Selbsthilfegruppen – nicht kostenlos zu bekommen.
- Du verpflichtest dich dadurch für einen gewissen Zeitraum, an den Treffen teilzunehmen (natürlich kannst du trotzdem wegbleiben)
- Kleinere Gruppe bedeutet auch, dass du dich nicht „verstecken“ kannst, sondern tatsächlich aktiv werden „musst“
Ob das wirklich Nachteile sind, entscheidest du selbst. Aus meiner Erfahrung bringt dich ein Kurs viel mehr ins Tun als eine Selbsthilfegruppe. Vielleicht ist das aber auch erst zu einem späteren Zeitpunkt für dich dran. Hier kannst du dir in Ruhe alle Infos zum Patchwork Power Kurs durchlesen, evtl. mit deinem Partner besprechen und dann eine Entscheidung treffen.
Fazit
Selbsthilfegruppen sind wertvoll, aber nur zu einem gewissen Grad. Sie können eine Ergänzung zu anderen (kostenpflichtigen) Angeboten sein.