Neulich waren Sandra und Jochen bei mir im Paarcoaching. Sie wollen über die Situation mit Jochens Ex-Frau reden, das nächste Kinderwochenende und darüber, ob die Kinder im Haushalt mithelfen oder einfach die paar wenigen Stunden mit ihrem Papa verbringen sollen. Alleine können die beiden ihre Probleme nicht besprechen – denn dann fangen sie sofort an zu streiten. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um das Inhaltliche. Sobald ein Thema (egal welches) auf den Tisch kommt, spielt sich immer wieder das Gleiche ab: Sandra wird tierisch wütend und Jochen zieht sich zurück und sagt gar nichts mehr. Sie sind eben unterschiedliche Konflikttypen!
In diesem Artikel geht es deshalb nicht um konkrete Inhalte (über die Frage, ob das Bonuskind Gast oder Familienmitglied ist, habe ich hier schon gebloggt) – sondern um die verschiedenen Konflikttypen, die in Streitsituationen auftauchen. Beide begegnen mir sehr häufig in meinen Beratungen. Ich nenne sie liebevoll: Wirbelsturm und Schildkröte.
Konflikttyp 1: Der Wirbelsturm
Wenn ihr ein Thema wichtig ist, wird Sandra sehr schnell richtig wütend. Sie verbeißt sich regelrecht darin, genau JETZT eine Lösung zu finden. Auch wenn es mitten in der Nacht ist! Sie kann auch schon mal laut werden und brüllen. Einmal ist sogar eine Espresso-Tasse durch die Luft geflogen, weil sie sie gerade in der Hand hatte und vor lauter Wut gegen die Kühlschranktür geschmissen hat – knapp an Jochens Kopf vorbei.
Jochen findet Sandras Verhalten völlig unangemessen. Kann sie einfach mal sachlich und ruhig bleiben? Ihre Reaktion ist doch völlig übertrieben und steht in keinem Verhältnis zum Thema. Überhaupt kann Jochen sie gar nicht mehr richtig ernst nehmen, wenn sie wie eine Furie auftritt! Darauf zu bestehen, dass alle Konflikte sofort geklärt werden müssen, ist doch total unrealistisch. Schließlich müssen sie beide am nächsten Morgen arbeiten.
Wenn es ihm zu bunt wird, dreht er sich einfach um. Oder geht eine Runde um den Block. Oder sitzt mit verschränkten Armen da und schaltet auf Durchzug. Jochen ist Konflikttyp 2: Die Schildkröte.
Konflikttyp 2: Die Schildkröte
Jochen fällt es überhaupt nicht schwer, im Konflikt ruhig zu bleiben. Im Gegenteil! Er zieht sich in sich zurück und schweigt. Wenn möglich, verlässt er auch komplett die Situation. Einfach weg, egal wohin. Er geht dann spazieren oder setzt sich in sein Auto und fährt einfach durch die Gegend. Einmal ist er zu einem Kumpel gefahren und über Nacht dort geblieben. Er braucht dann einfach ein paar Tage, um sich zu sortieren.
Sandra macht genau dieses Verhalten fuchsteufelswild. Sich einfach zu verpieseln, das ist doch eine Unverschämtheit! Wie ein Aufleger am Telefon. Dann steht sie da wie ein begossener Pudel und weiß gar nicht, wann Jochen zurückkommt. Manchmal kann sie ihn tagelang nicht erreichen. Er ignoriert sie einfach und reagiert nicht auf ihre Nachrichten. Total kindisch! So kann man doch keine Konflikte klären.
Welcher Konflikttyp bist du?
Hast du dich in einer der beiden Beschreibungen wiedererkannt? Oder deinen Partner?
Wenn ich das Bild vom Wirbelsturm und der Schildkröte teile, ist das oft ein krasser Aha-Effekt. Denn meistens haben wir spontan ein Gefühl, zu welcher Kategorie wir uns zugehörig fühlen und können auch unseren Partner klar zuordnen. Ob wir eher Wirbelsturm oder Schildkröte sind, wird schon früh in der Kindheit angelegt.
Denk mal an deine Eltern – welcher Konflikttyp ist dein Vater? Wozu würdest du deine Mutter zählen?
Wir Menschen lernen durch Beobachten. Aus dem Streitverhalten, das wir in unserer Kindheit mitbekommen haben, entwickeln wir unbewusst unsere eigenen Konflikttypen. Übrigens können Männer und Frauen sowohl Wirbelsturm als auch Schildkröte sein.
Warum beide Konflikttypen wertvoll sind
Die gute Nachricht ist: Beide Konflikttypen sind wichtig und bringen richtig gute Eigenschaften für eine Beziehung mit.
Studien zeigen sogar, dass Paare dann am besten funktionieren, wenn einer mehr Wirbelsturm und der andere Schildkröte ist. Warum ist das so?
- Nun, zwei Wirbelstürme würden jedes Mal total eskalieren und irgendwann nur noch Zerstörung zurücklassen.
- Zwei Schildkröten ziehen sich so sehr zurück, dass sie gar nicht mehr miteinander reden.
Beide Konstellationen werden auf lange Sicht im Paar nicht besonders gut funktionieren. Auch wenn unser Partner also anders reagiert als wir – es gilt, das Positive in dem jeweiligen Streitverhalten zu sehen und zwar sowohl bei sich selbst als auch beim Partner.
Der Wirbelsturm – Antreiber für Lösungen
- bringt Veränderungsenergie mit
- lässt nicht locker, bis der Streit geklärt ist
- verhindert, dass Dinge unter den Teppich gekehrt werden
- sorgt für klare Luft, wenn die Gefühle da sein durften
- legt Probleme und Sichtweisen offen auf den Tisch
Die Schildkröte – Hüterin der Ruhe
- wirkt deeskalierend
- verschafft Zeit, um sich zu besinnen und zu beruhigen
- bleibt bei sich und sorgt für die eigene Beruhigung
- fokussiert die Sachebene
- bleibt eher mäßig in den Gefühlsregungen
Mit beiden Konflikttypen umgehen
Egal, ob du Wirbelsturm oder Schildkröte bist – das ist gut so! Es geht nicht darum, zur Schildkröte zu mutieren (allerdings wäre ein Abkühlen auf Windstärke 12 auf 6 nicht schlecht!). Auch die Schildkröte könnte daran arbeiten, ihren Kopf schon nach einigen Minuten wieder aus dem schützenden Panzer zu strecken und sich nicht tagelang zurückzuziehen.
Sandra und Jochen haben im Coaching gelernt, sich selbst und ihren Partner wertzuschätzen. Jochen weiß, dass Sandra einfach Dampf ablassen muss, wenn sie sich aufregt. Was sie dann von sich gibt, nimmt er nicht mehr persönlich, sondern wartet einfach ab, bis der größte Sturm verebbt ist. Sandra hingegen wird nicht gleich unruhig, wenn Jochen sich für einige Zeit zurückzieht.
Wenn sie dann wieder zusammenkommen, ist es ihnen möglich, über die sachliche Ebene bei den Themen zu sprechen.
Welcher Konflikttyp bist du? Hilft es dir, das von deinem Partner zu wissen? Schreib es mir im Kommentar!