Alleinerziehend? Das war meine Mama, als mein Vater sich vom Acker gemacht und jahrelang nicht mehr gemeldet hat. Aber die Mutter von meinem Bonuskind? Die zählt ernsthaft zu den 2,52 Mio. Alleinerziehenden in Deutschland (genauer gesagt zu den 2,09 Mio. alleinerziehenden Müttern) und das, obwohl der Sohn regelmäßig hier ist und der Vater sich kümmert (mal ganz abgesehen von mir!)?! Das ist doch ungerecht! Ich würde sagen: Der Begriff “Alleinerziehend” ist im Patchworkkontext ähnlich schlecht angesehen wie die “Stiefmutter”.
Weniger Care-Arbeit, mehr Freiraum – Was würdest du tun?
Diesen Impuls gibt Andrea Herzog in ihrem Aufruf zur Blogparade. Sie begleitet Trennungsfamilien mit Kindern unter 7, ist alleinerziehende Mutter und möchte mehr Leichtigkeit und Spaß im Alltag mit kleinen Kindern. Na klar, wer möchte das nicht?! Sie stellt die Frage:
Wie würde dein Alltag aussehen, wenn die Verantwortung und die Care-Arbeit deiner Kinder fair auf zwei paar Paar Schultern verteilt wäre?
Klingt doch erstmal gut, oder? Diese Formulierung stößt jedoch manchen Patchworkern sauer auf. Denn schließlich gibt es ja noch andere Erwachsene, die sich kümmern!
Bevor ich also ihre Frage beantworte, mache ich einen kleinen Schlenker.
„Alleinerziehend“ – Was ist das eigentlich?
Die amtliche Statistik definiert Alleinerziehende als Mütter oder Väter, die ohne Partnerin mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren in einem Haushalt zusammenleben.
In rechtlicher Hinsicht wird nur auf das Sorgerecht geschaut . Wer das alleinige Sorgerecht hat, gilt als alleinerziehend nach §§ 1626 ff. BGB. Es kommt nicht darauf an, ob in dem Haushalt noch weitere Personen leben und mithelfen.
Fragt man Alleinerziehende nach ihrer eigenen Definition, geht es vielen um die Verantwortungsverteilung. Alleinerziehend heißt für sie, alle wesentlichen Entscheidungen alleine treffen zu müssen. Das geht von der Auswahl der Schule bis zu den täglichen Dingen, was das Kind darf. Das Sorgerecht spielt dabei keine große Rolle.
Manche sprechen von “getrennt erziehend”. Offiziell gilt das aber erst, wenn das Kind mindestens jeweils ein Drittel seiner Zeit bei jedem Elternteil lebt. Immer mehr Mütter und Väter wollen eine partnerschaftliche Elternschaft nach der Trennung. Das Familiensystem muss sich umsortieren, damit die neue Partnerin eine eigene Position einnehmen kann.
„Ich hätte ja auch gern mal so ein freies Wochenende.“
Ein sehr verbreitetes Vorurteil lautet: Alleinerziehende haben viel mehr Zeit für sich, als Frauen, deren Männer dauernd arbeiten. Denn die können doch jeden zweiten Freitag, Samstag und Sonntag ohne Kinder ausgiebig ausschlafen, ganz in Ruhe frühstücken, rumliegen und lesen.
Nach einer Trennung gilt schließlich meist das Residenzmodell: Die Mutter betreut die Kinder in der Woche und der Vater alle zwei Wochen am Wochenende. Da können sich die Mütter doch dann mal richtig entspannen! Andere Mütter können das nie! Die müssen am Wochenende dann auch noch die Wäsche des Mannes mitbügeln. Also: Was haben sich Alleinerziehende eigentlich so?
Diese Einstellung wurde mit dem Buchtitel “Alleinerziehend mit Mann” plakativ auf die Spitze getrieben. Dort heißt es:
Der Unterschied zwischen mir und einer Alleinerziehenden? Ich hab einfach wesentlich mehr Wäsche.
aus: Alleinerziehend mit Mann
Im Buch Alleinerziehend mit Mann geht es um den Spagat zwischen Kinder, Job, Haushalt und Mann. Es wird erläutert, dass die Männer quasi nach der Geburt des Kindes wie vom Erdboden verschluckt sind und sich nur noch in die Arbeit stürzen.
Alleinerziehend zu sein ist schwer – Stiefmutter sein auch
Das ist natürlich nicht in Ordnung und sollte dringend angegangen werden – hat aber mit “echtem” Alleinerziehendsein nicht wirklich etwas zu tun.
Das ist so, als ob man in einer Diskussion über Feminismus sagt “Es gibt auch Männer, die von Frauen diskriminiert werden” oder auf den Satz “Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet in Deutschland oft Armut.“ antwortet „Und was ist mit den Hungernden in Afrika und Asien?“
Den Versuch, einen Missstand durch den Verweis auf einen anderen zu relativieren, nennt man Whataboutismus (vom englischen What about …? und der Endung „-ismus“) „What about“ könnte man mit „Und was ist mit…?“ ins Deutsche übersetzen. Eine Frage oder ein kritisches Argument wird damit nicht beantwortet oder erörtert, sondern mit einer Gegenfrage praktisch vom Tisch gewischt.
Meist wird Whataboutism verwendet, wenn einer Person keine guten oder logischen Argumente mehr zur Verfügung stehen. Das erschwert eine echte Diskussion. Als Reaktion kann die simple Frage “Inwiefern hat das mit dem Thema zu tun?” Leute ins Nachdenken (und hoffentlich auch zum Umdenken) bringen.
Es ist kein Wettbewerb, wer es schwerer hat. Stattdessen geht es darum anzuerkennen, dass jede ihre eigenen Herausforderungen hat.
Zu hören, dass die Mutter sich ausruhen und Pause machen darf, ja sogar sollte, wenn die Kinder beim Papa sind, ist für die neue Partnerin auch nicht leicht.
Denn sie übernimmt ja gerade an diesem Wochenende einen Teil der Arbeit, indem sie ihren Partner unterstützt, wenn seine Kinder da sind. Wenn sie nicht in der Doppelrolle ist und selbst auch schon Kinder in die Beziehung mitbringt, ist alles neu für sie:
- der Tagesablauf mit Kindern,
- Spielplatz und Memory,
- tausendmal der Ruf nach Papa pro Tag,
- Kinder, die abends nicht schlafen gehen wollen
- und nachts ins große Bett kommen.
All das sind Stressfaktoren, an die Eltern sich im Laufe der Zeit gewöhnt haben (und trotzdem ist Elternschaft auch für Mama und Papa stressig, oder?). Außerdem wird von allen Seiten erwartet, dass die Neue all das hinnimmt und ohne zu murren wegsteckt (Stichwort “Du wusstest doch, dass er ein Kind hat!” – eine typische Phrase aus dem Bullshit-Bingo!)
So, jetzt aber zurück zur Frage. Denn die finde ich trotz allem wirklich interessant.
Was würde ich tun, wenn ich mehr Zeit hätte?
Ich habe jedes Wochenende meine Kinder. Zusätzlich habe ich regelmäßig noch mein Bonuskind on top. Ich würde mir wünschen, dass das nicht als selbstverständlich angesehen wird. (Falls es dir auch so geht, empfehle ich: Dein Partner versteht dich nicht? Dann sollte er diesen Artikel lesen). Ja, ich habe einen Partner. Wir teilen uns die Alltagsarbeit auf (zum Glück ist er wieder im Home Office und übernimmt das Kochen.) und das weiß ich sehr zu schätzen.
Wenn ich keine Kinder hätte, würde ich…
- vermutlich mehr arbeiten, vor allem später am Abend und längere Zeit am Stück (ungestört)
- anders Urlaub machen (mit dem Rucksack durch Asien statt auf deutschen Bauernhöfen)
- öfter ins Theater oder ins Museum gehen
- Städtetrips übers Wochenende machen
- wandern gehen (vor meinen Kindern darf ich das böse w-Wort nicht mal aussprechen ;))
- ein cremefarbenes Sofa kaufen und weiße Jeans tragen
Ich würde definitiv nicht…
- meine Zeit in Turnhallen verbringen (auf der Zuschauertribüne)
- ständig auf Hofflohmärkten stöbern (und meine Stadt viel weniger kennen)
- Referate über Heilpflanzen, Bundesländer oder die römischen Götter zu hören bekommen
- einen Sandkasten, ein Baumhaus oder Fahrradschuppen im Garten bauen
- einen ganz Schrank voller Gesellschaftsspiele haben, die täglich zum Einsatz kommen (manchmal will ich gern spielen und höre dann: „Mama, du musst dich jetzt auch mal alleine beschäftigen!“ ;))
Wenn ich kein Bonuskind hätte, würde ich…
- meine Wochenende nicht nach dem Umgangsplan organisieren
- einen Haufen Wörter gar nicht kennen (sheesh, Diggah, cringe!)
- mich niemals mit Star Wars und Valheim beschäftigen
- keinen Einblick in die Sichtweise eines 15jährigen Teenies bekommen
- mich nicht um die Sichtweise von Alleinerziehenden kümmern…
Je länger ich an diesen Listen sitze, desto mehr merke ich: Ich bin froh, dass es so ist, wie es ist. Ja, es ist nicht immer leicht, das ewige Auf und Ab als Stiefmutter. Aber es ist mein Leben.
Ich mag ganz viele Sachen, die ich als Mutter und Bonusmutter tue (und sonst sehr wahrscheinlich nicht in meinem Leben hätte). Außerdem finde ich Wege, auch die Dinge zu integrieren, die ich sonst gern tun möchte. Meine Kinder können ein paar Stunden alleine bleiben – während ich mit meinem Mann ins Theater gehe. Einmal im Jahr fahren wir ohne die Kinder in den Urlaub (Städtetrip und wandern). Und das cremefarbene Sofa ist mir tatsächlich doch gar nicht soo wichtig.
Schreib doch auch mal die Liste: Was würdest du tun, wenn du mehr Freiraum hättest? Und dann überleg dir, wie du von dem, was du gern haben möchtest, mehr in dein Leben holen kannst. Auch wenn wir uns vielleicht nicht ausgesucht haben, welche Rolle wir im Leben haben, wir können es immer noch gestalten.
Lasst uns „Alleinerziehend“ und „Stiefmutter“ streichen
Solange wir immer wieder in Worten die Zustände wiederholen, die wir nicht haben wollen, werden sie sich auch in der Realität wiederholen. Weil jede wörtliche Wiederholung uns an den Inhalt der Worte gewöhnt.
Lasst uns deshalb eigene Begriffe finden, die emotional weniger negativ besetzt sind: Mit den Bezeichnungen “getrennte Mutter” und “neue Partnerin” habe ich versucht, möglichst neutrale, beschreibende Wörter zu finden. Das verändert auch die innere Haltung dazu.
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Hallo Marita,
vielen Dank fürs Mitmachen und entschuldige meine späte Reaktion. Erst waren wir im Urlaub und dann hatte mich und meine Kleine Corona fest im Griff. Nun arbeite ich mich langsam durch den liegengebliebenen Stapel.
Interessante Perspektive, vor allem weil ich mit dieser keinerlei Berührungspunkte habe. Es gibt weder eine neue Partnerin, noch irgendeine Teilung der Verantwortung. Persönlich habe ich auch keine Erfahrung damit, Kinder eines Partners (den aus aus Kapazitätsgründen (u.a.) nicht gibt) anzunehmen.
Die Lebensrealitäten von Familien sind so unterschiedlich, wie du auch schon schreibst. Meinen Zustand würde ich also tatsächlich als allein alleinerziehend bezeichnen…so wie der Großteil meiner Leserinnen dies auch tun würden.
Ich freue mich immer, wenn andere das mit der Verantwortungsübernahme besser hinkriegen und die kinder dadurch ein sehr viel bunteres Familienleben leben.
Leider haben nicht sehr viel mitgemacht bei meiner Blogparade, umso besser für dich, da du das Buch gewonnen hast.
Liebe Grüße,
Andrea