Weihnachten ist das Fest der Liebe, doch für uns Patchworker ist Weihnachten die Königsdisziplin. Statt Friede, Freude, Lebkuchen gibt es Umgangsvereinbarungen, unterschiedliche Erwartungen und Streit über die Frage, wer mit wem wann wo feiert.
In diesem Artikel habe ich die Erfahrungen von verschiedenen Patchworkfamilien zusammengetragen, wie sie die Feiertage gestalten und welche Ansätze dir helfen können, den Weihnachtsstress zu reduzieren.
Warum ist Weihnachten überhaupt so etwas außergewöhnlich Wichtiges für uns?
In unserer Kultur bedeutet Weihnachten für viele Menschen ein gemeinsames Beisammensein, Besinnlichkeit und Familienzeit. Gerade in stressigen und unsicheren Zeiten sehnen wir uns nach Ruhe, Geborgenheit, Frieden und Wärme.
Weihnachten ist emotional ganz eng mit vielen schönen Erinnerungen aus unserer eigenen Kindheit verbunden. Aus den Erfahrungen von früher entsteht für viele Erwachsene der Druck, das Weihnachtsfest soll auch für die eigenen Kinder etwas ganz besonders Positives sein.
Das führt zum berühmten Weihnachtsstress, nicht nur, aber gerade auch in Patchworkfamilien. Die Gefahr besteht darin, dass das Fest mit Erwartungen überfrachtet wird. Die Weihnachtszeit ist dann besonders anstrengend, wenn plötzlich eine heile Welt zusammengefügt werden muss, die im Alltag eigentlich gar nicht so heil ist, weil Konflikte bestehen. An Weihnachten unterwerfen wir uns alle der Verpflichtung, so zu tun als ob.
Dass sich Menschen zu Weihnachten besonders häufig streiten, ist nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung so. Bereits in den 50er Jahren hat die Stressforschung herausgefunden, dass Weihnachten auf Platz zwei der stressigsten Ereignisse liegt, hinter dem Tod eines Angehörigen und noch vor der Hochzeit (!)
Wenn man sich von dieser Erwartungshaltung frei macht und Weihnachten einfach als Ritual erlebt, auf das man sich immer wieder besinnt, kann es etwas sehr Schönes und auch Leichtes sein.
“Ich denke mir, Augen zu und durch, es ist nur ein einziger Tag!“
Weihnachten ist in jeder (Patchwork)Familie herausfordernd – du bist mit deinen Gefühlen, Bedenken und Gedankenkarussell also nicht alleine. Hier sind einige Aussagen von Frauen im Patchwork.
Sandra erzählt mir von ihrer Familie:
„Wir haben eine klare Regelung, dass die Kinder Heiligabend bei mir verbringen und dann zum Papa wechseln. Doch jedes Jahr schwingt die Sorge mit, dass es den Kindern zu viel wird, ständig von einem zum anderen zu pendeln.“
Trotz der Planung bleibt ein Gefühl von Zerrissenheit – für die Kinder ebenso wie für die Eltern.
Frauke teilt offen ihre Ängste:
„Mein Partner und ich feiern dieses Jahr an Heiligabend getrennt, weil seine Kinder bei ihrer Mutter sind und meine Tochter bei uns. Doch ich habe Angst vor Streit und vor einem Weihnachtsdrama, weil der Druck, es allen recht zu machen, so hoch ist.“
Viele Patchworkeltern kennen das Dilemma, die Erwartungen aller Beteiligten erfüllen zu wollen, und das nicht nur an Heiligabend, sondern über die gesamten Feiertage hinweg.
Dann ist da noch Merle, die erzählt:
„Ich habe so lange versucht, die alten Traditionen beizubehalten, doch irgendwann habe ich gemerkt, dass das mehr Frust als Freude bringt. Also haben wir uns entschieden, unser eigenes Weihnachtsritual zu schaffen, bei dem die ganze Familie sich wohlfühlt.“
Umgangsvereinbarung und Traditionen
Das Loslassen alter Vorstellungen und das Annehmen neuer Traditionen kann befreiend sein – auch wenn es manchmal schwerfällt.
Für Weihnachten gibt es verschiedene Szenarien. Wenn es eine offizielle Umgangsvereinbarung gibt, ist die Verteilung der Kinder über die Feiertage darin häufig auch geregelt. Manche sehen Weihnachten plus die Feiertage als Einheit, die die Kinder im jährlichen Wechsel beim einen oder anderen Elternteil verbringen, andere Familien wechseln am 1. oder 2. Weihnachtstag. So ist es bei Sandra.
Einige getrennte Eltern verbringen auch nach der Trennung den Heiligabend gemeinsam. Ob das für die Kinder gut ist, weil alte Traditionen erhalten bleiben, oder eher nicht empfehlenswert, weil nach der Trennung der Eltern keine Hoffnung auf eine mögliche Wiedervereinigung geschürt werden sollte, darüber gehen die Meinungen der Fachleute auseinander. Auf jeden Fall ist es für die neue Partnerin emotional schwierig, alleine den Feiertag zu verbringen und sich in Gedanken auszumalen, wie ihr Partner mit seiner Exfrau und den Kindern feiert. Darüber spricht Frauke.
Zu guter Letzt gibt es noch die romantische “Bilderbuchversion” von einem fröhlichen gemeinsamen Weihnachtsfest mit alten und neuen Partnern. Das kann funktionieren (wir laden seit einigen Jahren die Mutter meines Bonussohns immer mit zu uns ein), der Weg dahin ist aber auch holprig, wie Merle zu berichten weiß.
Alternative Ansätze zu Weihnachten
Ein anderer Ansatz kommt von Luisa, die betont, dass Weihnachten für sie nicht nur auf einen Tag beschränkt ist.
„Ich habe erkannt, dass es mir guttut, den gesamten Dezember für uns als Familie zu nutzen, statt den Heiligabend als den einzigen Höhepunkt zu sehen. Wir machen es uns im Advent gemütlich und gestalten die Zeit ganz entspannt.“
Indem Luisa den Fokus von einem einzelnen Tag auf den gesamten Monat lenkt, nimmt sie sich und ihrer Familie den Druck, dass alles „perfekt“ sein muss. Stattdessen entstehen neue Rituale, die sich an den Bedürfnissen aller orientieren und Stress vermeiden.
Dieser Gedanke kann helfen, wenn die klassischen Weihnachtsvorstellungen in einer Patchworksituation nicht umsetzbar sind. Eine gemeinsame Adventszeit oder mehrere kleine Highlights im Dezember können eine sinnvolle Alternative zum großen „Fest“ sein, bei dem alles perfekt laufen soll.
Das Leben ist anders geworden – Weihnachten auch
Bei der Frage, ob getrennte Eltern Weihnachten zusammen feiern sollten, gehen die Meinungen auseinander. Während die einen ihnen ein Stück Stabilität erhalten wollen, sagen die anderen:
“Den Kindern eine “happy family” vorzuspielen und Weihnachten zusammen zu verbringen, während die neue Partnerin zu Hause sitzt, ist einfach nicht richtig. Für die Kinder ist eine Trennung eh schon schwer. Ihnen dann mit solchen Momenten noch Hoffnung zu machen, verwirrt sie noch mehr. Kinder hoffen jahrelang, dass die Eltern zusammenkommen, weil sie nicht verstehen, warum sich Erwachsene trennen. Wie sollen sie realisieren, dass es diese Form der Familie nicht mehr gibt, wenn die Eltern Weihnachten zusammen unterm Tannenbaum sitzen?”
Kinder brauchen Stabilität und Sicherheit. Die Idee, das dadurch zu erreichen, dass Weihnachten so gefeiert wird wie vor der Trennung, erscheint naheliegend. Genau das kann aber eben zu Unsicherheit führen, weil nicht klar ist, ob das bedeutet, dass die Eltern nun doch wieder zusammenkommen.
Authentisch zu sein und transparent zu machen, dass sich in der Elternbeziehung etwas verändert hat, das sich eben auch auf das Weihnachtsfest auswirkt, sorgt gerade in der Zeit kurz nach der Trennung für Klarheit. Wenn Kinder in dieser Zeit gut begleitet werden, gibt das den Kindern auch eine Sicherheit.
Sie können verstehen, dass es Weihnachten, so wie sie es bisher kannst, nicht mehr gibt. Dass es anders wird, heißt aber nicht automatisch schlechter. Wir können neue Rituale schaffen und neue Wege finden, wie wir miteinander Weihnachten feiern.
Abschied vom kitschig-verklärten Ideal
Einer der Hauptgründe für Stress und Unzufriedenheit an Weihnachten ist das hohe Idealbild, das wir alle in uns tragen: leuchtende Kinderaugen, eine traute Familie, im sanften Kerzenschein versammelt. Alle haben sich lieb und sind in friedlicher Harmonie miteinander verbunden… Wenn das ein Film wäre, würde an dieser Stelle ein kratzendes Geräusch die romantische Musikuntermalung unterbrechen!
Dieses Bild hat mit der Realität nicht viel zu tun. Auch in „intakten“ Familien kommt es an Weihnachten häufig zu Streitigkeiten. Sich das bewusst zu machen, hilft dabei, Weihnachten ohne verklärten Blick zu sehen. Selbst die Heilige Familie mit Maria als Inbegriff von Mutterschaft ist im Grunde betrachtet die erste Patchworkfamilie der Geschichte mit Josef als Stiefvater.
Bis sich neue Traditionen entwickelt haben, hat jeder im Patchwork eigene Herausforderungen zu bestehen.
Damit alle Gefühle gesehen werden und gute gemeinsame Lösungen gefunden werden können, lohnt es sich, vorab mit den Kindern zu sprechen. Entweder gemeinsam mit beiden Eltern oder wenn schon klar ist, bei welchem Elternteil sie die Feiertage verbringen, mit den dann Anwesenden. Das geht im Rahmen einer Familienkonferenz, bei der alle gehört werden.
Denn im Grunde wollen wir alle doch das gleiche: harmonische, friedliche, schöne Weihnachten verbringen. Das ist ein gutes Ziel, auf das man gemeinsam zusteuern kann.
Weihnachten gestalten, wie es zu euch passt
Aber wie lassen sich verschiedene Familien-Weihnachtstraditionen unter einen Hut bringen? Vermutlich gar nicht, wenn das nicht von allen gewünscht ist! Und das muss auch gar nicht sein.
Es ist okay, wenn bei Papa ganz unterschiedliche Traditionen gelebt werden als bei Mama. Bei einem gibt es Weihnachtsgans, beim anderen vegetarisch. Da geht man in die Christmette, dort bleibt man zu Hause. Kinder können gut damit umgehen, dass in unterschiedlichen Haushalten auch verschiedene Erziehungsstile und Regeln gelten.
Wenn das Kind davon erzählt, wie es letztes Jahr bei Mama bzw. Papa (und vielleicht auch seiner neuen Freundin) war, solltest du das nicht persönlich oder als Angriff sehen. Oft ist es einfach nur eine weitere schöne Erinnerung. Schaffe neue schöne Erinnerungen, von denen dein Kind dann im nächsten Jahr erzählen kann.
Patchworkfamilien sind so vielfältig wie die Menschen, die sie bilden, und genauso individuell dürfen auch ihre Weihnachtsfeste sein. Die Herausforderung liegt darin, Erwartungen loszulassen, die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen und im besten Fall neue, für die Familie passende Rituale zu finden.
Wie Luisa sagt:
„Wichtig ist doch, dass wir zusammen sind und uns wohlfühlen – und das lässt sich an jedem Tag im Dezember erleben, nicht nur am 24.“
Indem ihr als Patchworkfamilie Weihnachten neu definiert und bewusst gestaltet, schaffen ihr Raum für echte Nähe und ein Fest, das sich an euren Bedürfnissen orientiert.
In diesem Sinne: Ein entspanntes, besinnliches und vielleicht auch ein wenig unperfektes Weihnachten – genauso, wie es zu euch passt!