Im Patchworkalltag ärgerst du dich ständig. Über die Kinder deines Partners, die dich nicht respektieren. Über deinen Partner, der dich in wichtigen Momenten nicht unterstützt. Über die Ex, die sich in eure Familie einmischt. All das fühlt sich nach Ärger an. Doch was, wenn ich dir sage, dass dieser Ärger oft ein anderes, viel tieferes Gefühl überdeckt?

Wenn Ärger Trauer verdeckt

Patchworkfamilien fordern uns auf vielen Ebenen heraus. Sie bringen verschiedene Lebenswelten, Werte und Dynamiken zusammen, die nicht immer reibungslos harmonieren. Aber oft steckt hinter der Wut und Frustration eine andere Wahrheit: Trauer.

Trauer darüber, dass dein Leben nicht so aussieht, wie du es dir früher ausgemalt hast. Dass das Idealbild einer „heilen Familie“ – mit Hochzeit, gemeinsamen Kindern und einem harmonischen Familienalltag – nicht Wirklichkeit geworden ist.

Der Traum von der heilen Familie – und sein Ursprung

Unsere Vorstellungen von der perfekten Familie haben tiefe Wurzeln. Sie entspringen nicht nur Märchen und Filmen, die uns von klein auf begleiten, sondern auch gesellschaftlichen Leitbildern. Das Bild der „traditionellen Familie“, einer lebenslangen Gemeinschaft von Vater, Mutter und Kind, hat sich erst mit dem Bürgertum im 18. und 19. Jahrhundert etabliert. Es wurde in den 1950er und 60er Jahren zur Norm erhoben und ist bis heute tief in unseren Köpfen verankert. Es ist also kein Wunder, dass wir dieses Ideal anstreben – und dass wir trauern, wenn unser Leben anders aussieht.

Dazu kommt ein weiterer belastender Faktor: das Bild der Stiefmutter. Die Märchen der Brüder Grimm haben es geprägt – und es ist kein schönes Bild. Ob Schneewittchen, Aschenputtel oder Hänsel und Gretel, in den Geschichten begegnen wir 13 Stiefmüttern, und keine von ihnen ist gut. Im Gegenteil: Sie sind böse, hartherzig, kaltblütig.

Die Brüder Grimm verstärkten dieses Bild sogar bewusst!

In späteren Auflagen ihrer Märchensammlung wandelten sie leibliche Mütter in Stiefmütter um, weil die Rolle so gut bei den Lesern ankam. Bis heute prägt dieses Bild unser Verständnis – und der Begriff „Stiefmutter“ weckt oft negative Assoziationen.

Wenn du in einer Patchworkfamilie lebst, trägst du diesen Ballast mit dir: 

  • das Idealbild der heilen Familie, 
  • das negative Stiefmutter-Klischee und 
  • die Enttäuschung darüber, dass alles so anders ist, als du es dir vorgestellt hast. 

Diese Trauer bahnt sich ihren Weg – oft als Ärger. Wut ist wie ein Schutzschild. Sie bewahrt uns davor, uns mit dem Schmerz auseinanderzusetzen, der tiefer liegt. Aber sie verhindert auch, dass wir ihn heilen können. 

Warum Wut? Die Funktion eines missverstandenen Gefühls

Wut ist eines der intensivsten und zugleich am häufigsten missverstandenen Gefühle. Sie zeigt sich lautstark, ist explosiv und richtet sich häufig nach außen – auf Menschen, Situationen oder Dinge, die wir als Hindernis oder Bedrohung wahrnehmen. Wut als Wächter

Wut ist wie ein Wächter, der uns signalisiert: „Hier stimmt etwas nicht!“ Sie taucht auf, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, wenn eine Grenze überschritten wurde oder wenn ein Bedürfnis unerfüllt bleibt. In gewisser Weise ist sie ein wichtiges Warnsystem, das uns hilft, uns zu behaupten und für unsere Werte einzustehen.

In Patchworkfamilien gibt es viele solcher Momente. Vielleicht fühlst du dich übergangen, wenn dein Partner Entscheidungen trifft, ohne dich einzubeziehen. Vielleicht verletzt es dich, wenn die Kinder deines Partners dich respektlos behandeln. Oder du ärgerst dich, weil die Ex deines Partners immer noch so viel Einfluss auf euer Leben hat. Wut ist dann wie ein Blitz, der dich sofort handeln lassen will.

Doch was passiert, wenn wir diesem Blitz nachgeben? Häufig richten wir die Wut nach außen und machen den anderen verantwortlich. Dabei übersehen wir, was die Wut eigentlich von uns will.

Warum Wut einfacher ist als Trauer

Wut fühlt sich stark an. Wenn wir wütend sind, glauben wir, etwas ändern zu können, sei es durch Argumente, Grenzsetzung oder sogar Rückzug. Das kann ein wichtiger Motor sein, um unsere Grenzen klar zu formulieren. Sie birgt allerdings die Gefahr, dass wir uns so in sie hereinsteigern (bzw. sie so stark wird), dass wir gar nicht mehr handeln können. Wie denn auch? Der andere ist ja Schuld an unserer Misere – und wer die Schuld hat, hat die Macht.

Trauer hingegen fühlt sich schwach an. Sie bedeutet, etwas zu akzeptieren, das wir nicht ändern können. Trauer verlangt von uns, still zu werden, loszulassen und anzuerkennen, dass manche Dinge außerhalb unserer Kontrolle liegen. Doch genau hier liegt die Kraft der Trauer. Denn während Wut uns im Kampfmodus hält, erlaubt uns Trauer, innezuhalten und unser Inneres zu heilen. Sie lässt uns erkennen, was wirklich wichtig ist, und macht uns offen für neue Wege und Möglichkeiten.

Trauer als Schlüssel zu einem neuen Familiengefühl

Der erste Schritt, um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist zu erkennen, dass hinter deinem Ärger oft Trauer ist. Trauer über den Abschied von einem Ideal. Trauer darüber, dass dein Leben anders aussieht als in Märchen und Filmen. Doch Trauer ist nichts Negatives. Sie ist ein natürlicher Teil des Patchworkprozesses. Wenn du den Mut hast, hinzusehen und diese Trauer zuzulassen, kannst du dich von dem Druck befreien, einer unerreichbaren Vorstellung zu entsprechen. Du schaffst Raum für eine realistische, liebevolle Dynamik, in der alle Beteiligten so sein dürfen, wie sie sind – du eingeschlossen.

Sich auf Patchwork einzulassen bedeutet, dass man seine Vorstellung von der klassischen Familie aufgibt.

Abschied zu nehmen von der Idee der perfekten Familie, kann weh tun. Es ist okay, zu trauern. Nur, wenn du loslässt, kannst du Platz schaffen für etwas Neues – für eure ganz eigene Version von Familie.

Phasen der Veränderung im Patchwork

In unserem Leben passieren ständig Dinge, mit denen wir nicht gerechnet haben. Das kann eine Verletzung sein, eine Kündigung, eine Krankheit oder eine Trennung. Die Art, wie wir emotional auf Veränderungsprozesse reagieren, ist dabei immer gleich und verläuft in bestimmten Phasen. Übertragen auf Patchwork sieht das Modell so aus:

  1. Zu Beginn möchte man die Veränderung nicht wahrhaben. Veränderungen, die nicht geplant oder überraschend kommen, lösen einen Schock aus, in dem man in der Regel gar nichts oder nur Taubheit fühlt.
  2. Die zweite Phase ist von Ablehnung und Widerstand geprägt. Wir wollen an dem Bestehenden festhalten. Hier tritt die Wut auf den anderen in den Vordergrund, oft suchen wir einen Schuldigen.
  3. In der dritten Phase kommen wir zu der rationalen Einsicht, dass die Veränderung nicht mehr abzuwenden ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir das auch emotional bereits annehmen können.
  4. Der Wendepunkt ist die Depression im “Tal der Tränen”. Wir haben verstanden, dass die Situation Fakt ist und wir nichts tun können, um die äußeren Faktoren zu verändern. Diese Erkenntnis kann in eine tiefe Niedergeschlagenheit führen. Wir fühlen uns oft schwach, allein und energielos – bis endlich die Akzeptanz folgt.
  5. Jetzt nehmen wir die Situation als Realität an. Danach kann der Start in eine neue Zukunft beginnen. Wir probieren uns in der veränderten Situation aus und setzen uns mit den neuen Anforderungen, Aufgaben und Erwartungen auseinander.
  6. Zu guter Letzt wird die Veränderung zur Normalität. Wir integrieren die Situation, es kehrt eine neue Routine ein. Der Veränderungsprozess ist beendet, die persönliche Krise überwunden.

Erst wenn du das Tal der Tränen durchschritten hast, kommst du in die Phase der Akzeptanz. Bildlich gesprochen: Die dunkle Wut-Wolke muss sich abregnen, damit danach wieder die Sonne scheint!

Nach Regen folgt Sonnenschein (Bild mit KI erstellt)

Wut verstehen und umwandeln

Statt Wut als Feind zu sehen, kannst du sie als Verbündete betrachten – als Wegweiser, der dir zeigt, wo du hinschauen solltest. Dabei helfen dir folgende Reflexionen:

  1. Was genau hat die Wut in mir ausgelöst?
    Geht es wirklich um das Verhalten deines Gegenübers, oder berührt die Situation vielleicht ein älteres, unverarbeitetes Thema in dir? Beispielsweise kann das Gefühl, nicht respektiert zu werden, eine alte Angst oder Verletzung aktivieren.
  2. Welche Bedürfnisse stecken hinter meiner Wut?
    Wut signalisiert oft, dass ein Grundbedürfnis unerfüllt bleibt – wie etwa nach Anerkennung, Zugehörigkeit oder Sicherheit. Wenn du diese Bedürfnisse identifizierst, kannst du lernen, sie klar zu benennen und auf konstruktive Weise zu kommunizieren.
  3. Was würde mir jetzt wirklich helfen?
    Häufig steckt hinter Wut ein Wunsch nach Veränderung – sei es in einer Beziehung, einer Situation oder in uns selbst. Frage dich, ob es etwas gibt, das du tun kannst, um die Situation zu verbessern, oder ob es an der Zeit ist, deine inneren Erwartungen anzupassen.

Trauer als Kraftquelle

Wut ist ein natürlicher Teil des Lebens in einer Patchworkfamilie. Aber wenn du bereit bist, hinter die Wut zu schauen, wirst du erkennen, dass sie dir etwas sagen will. Sie weist dich auf tiefere Emotionen hin – Trauer, Verletzung, Enttäuschung – und gibt dir die Chance, diese zu heilen.

Indem du dich mit deiner Trauer auseinandersetzt, kannst du die Kontrolle zurückgewinnen – nicht durch den Kampf gegen äußere Umstände, sondern durch die innere Arbeit, die dich stärker und klarer macht. Nur so kannst du den Raum schaffen für ein neues Familiengefühl, das auf Akzeptanz, Authentizität und echter Verbundenheit basiert.

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